Flügge werden? – Rezension: „Der Jargon der Betroffenheit“ von Erik Flügge

“Warum stört mich Theologie so selten mit ihren Texten? – Im Grunde soll Theologie doch stören. Sie soll Fragen aufwerfen, die zum Denken anregen, die dazu zwingen, dass man über den eigenen Alltag hinaus die Fragen nach dem Sinn und der Ethik stellt. Von daher muss es das Ziel von Theologie sein, aufzufallen – auch negativ.”

Mit diesen anklagenden Sätzen beginnt Erik Flügge das Kapitel “Predigen” seines Buches “Der Jargon der Betroffenheit – Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt”.

“Mein Problem ist, dass die Kirche mich nur unterbricht, aber nicht stört. Ich würde mir wünschen, sie würde mich stören oder gar verstören. Was bei mir ankommt, ist aber immer wieder ein Text, der mir zu klein, zu nett, zu brav ist und der mich aufhält statt aufzuwühlen.”

Mit seinem Büchlein legt Erik Flügge den Finger in die offenstehende Wunde der kirchlichen Sprachunfähigkeit. Er ist damit weder der erste, noch wird er der letzte sein, der die mangelnde Klarheit und Alltagstauglichkeit der kirchlichen Verkündigung anprangert.

Kirchliche Standardverteidigung

Daran, dass diese Kritik von vielen Kirchenleuten positiv aufgenommen wird, kann ich – anders als Arnd Bünker auf feinschwarz.net – nichts Schlechtes finden. Ich halte es sogar für einen Fortschritt, dass Sprachkritik an der Kirche nicht einfach mehr abperlt oder mit dem Hinweis auf fehlende Lösungsvorschläge brüsk abgewiesen wird. So schreibt Bünker:

“Die Sachanalyse kirchlicher Kommunikation und Sprache, die Erik Flügge vorlegt, ist pointiert, und im Kern richtig. Die religiöse Kommunikation, die in Kirchen gepflegt wird, ist oft hilflos. Der „Kirchensprech“ verliert sich regelmässig in Banalitäten oder Floskeln. Er will nett sein, ist aber häufig nur belanglos.

Aber: all dies ist längst bekannt – und es wieder einmal ausgesprochen zu haben, erklärt nicht den Erfolg des Buches, das zudem keinerlei neue Perspektiven eröffnet und keine Lösungen des Problems präsentiert, die man nicht auch andernorts längst zu Papier und zur Gehör gebracht hätte.”

Da haben wir wieder – wenn auch auf der Meta-Ebene des Textes – die Standardkritik der Kirchenleute an der Kritik ihrer Sprache. Als ob nur der kritisieren dürfte, der es besser weiß und kann. Dass die Kirche auf Kritik von Außen und besonders von denjenigen angewiesen ist, die wie Flügge am Rande des Kirchenlebens stehen, ist leider immer noch keine Selbstverständlichkeit.

Bünker meint, Flügge schreibe am eigentlichen Problem der Kirche, nämlich ihrem Relevanzverlust vorbei. Und sicher ist die Sprache nicht das einzige Problem der Kirche, doch muss man Flügges Perspektive erst einmal richtig erst nehmen.

Flügge werden

Hier schreibt nämlich ein gekränkter Liebender, der die Relevanz kirchlicher Verkündigung gar nicht in Abrede stellt. Ja, der sie sogar noch dann behauptet, wo er sie in Gottesdienst und Predigt vermisst. Sein dringender Wunsch: Dass die Kirchenleute auch auf der Kanzel so reden mögen, wie sie es im persönlichen Gespräch tun. Offen, ehrlich, mit Kanten und Ecken – eben kein Einheitsbrei, der niemandem weh tun möchte.

Für Flügge sind die Inhalte der Verkündigung brauchbar, sie werden ihm nur nicht in ausreichend hohen Dosen und geeigneter Form gereicht. Das kann man wie Bünker insofern kritisieren, weil man sich darauf ja auch ausruhen kann: Es liegt ja nur an der Sprache …

Doch lässt man dieses Sentiment einmal gelten, dann sind wir der Lösung des Sprachproblems vielleicht ja schon näher, als viele glauben und können jedenfalls die alberne Forderung, mit der Kritik müsste die Abhilfe gleich mitgegeben werden, beerdigen.

Generationenfrage

Flügges Buch ist das einer bestimmten Generation. Meiner Generation, die man in den USA schon länger die Millennials nennt. Wir sind eine Generation, die auch an den altbekannten Orten wieder nach Antworten sucht, die unsere Eltern schon aufgeben hatten: Im politischen und sozialen Engagement und eben auch in den Kirchen. Dass unsere Suche anders ausschaut als die der Alten, dass sie sich z.B. nicht in Partei- oder Kirchenmitgliedschaften ausdrückt, heißt nicht, dass sie nicht stattfindet. Dort wo aber die Vereinsmeierei in den Hintergrund tritt, wird das kirchliche Handeln, das darüber und darunter stattfindet, sichtbarer – u.a. die Sprache, mit der Kirche in unserer Gesellschaft operiert und in ihren Verlautbarungen und Veranstaltungen begegnet.

Sprache konstituiert Wirklichkeit. Und so drückt sich in einer Sprache, die sich an niemanden richtet, aus, dass auch niemand zuhören muss. Flügge fühlt sich in den Gottesdiensten überflüssig: “Da kann man kommen oder gehen und das Gefühl haben, es hätte nicht den Hauch eines Unterschiedes gemacht, ob man nun da war oder nicht.” Das trifft das Gefühl meiner Generation und vor allem das derjenigen, die wegen Ausbildung, Studium oder Beruf ihren Wohnort wechseln.

Einen Unterschied machen

Flügges Buch ist ein Testament dafür, dass es noch (junge) Leute gibt, die etwas von der Kirche und ihrer Verkündigung fordern. Die gerne mit dabei wären, wenn ihnen auch tradierte Formen fremd geworden sind, die mit ihrer Anwesenheit und ihrem Engagement einen Unterschied machen wollen. Und deshalb bietet das Buch sehr wohl Zukunftsideen an, von denen ich jetzt diejenigen, die mich am meisten beschäftigen, einmal in Form von Fragen (vor-)stelle:

  1. Wie kann Kirche mobile Seelsorgebeziehungen ermöglichen?
  2. Wie etablieren wir in den Gemeinden eine Willkommenskultur, die neu hinzukommende Menschen wahrnimmt?
  3. Wie können wir Gottesdienste so gestalten, dass sie nicht besucht, sondern an ihnen teilgenommen wird?
  4. Wie schaffen wir Orte, an denen ganz ernsthaft und ohne den üblichen “Kirchenkram” diskutiert und theologisiert werden kann?
  5. Wie können wir dem Kirchensprech (“pastorale Sprache”) getrost das letzte Geleit geben?

Beim Blick auf die Fragen wird deutlich, dass an diesen Herausforderungen an vielen Stellen unserer Kirchen fieberhaft und schon seit Jahren gearbeitet wird. Flügges Verwunderung darüber, dass trotz zahlreicher Arbeits- und Projektstellen so wenig wirklich durchdringt, teile ich ganz ausdrücklich. Es zeigt aber auch, dass wir in vielen Bereichen schon Antworten auf die angeschnittenen Fragen haben. Das Rad muss nicht ständig neu erfunden werden. Häufig fehlt es wohl an stringenter Durchsetzung und am Mut etwas mit Geld, Personal und Geduld mal ein paar Jahre auszuprobieren. Stattdessen machen wir eben den nächsten “Werkstatttag”.

Das Buch ist ein kräftiger Anwurf an die zahlreichen hauptamtlichen Kirchenmitarbeiter, endlich ihren Job zu machen. Dass er gerade unter den jüngeren Kirchenleuten Zuspruch erfährt, zeigt auch, dass Vielen im Berufsalltag vom “Kirchenestablishment” immer noch Steine in den Weg gelegt werden, statt Brücken gebaut.

Fazit

Flügges Buch löst kein Problem, kann und muss es auch nicht. Wer das von einem Buch statt von sich selbst fordert, hat nichts verstanden. Es ist eine zutreffende Zustandsbeschreibung der Kirchen, die weit über oberflächliche Sprachkritik hinaus geht – jedenfalls für den Leser, der sich in den beschriebenen Situationen wiederfindet. Titel und Untertitel des Buches sind deshalb, wenngleich hübsch provokant, etwas unglücklich gewählt.

Das Buch ist kein reformatorisches Großwerk, aber eine nützliche Erinnerung an das, was für die Kirchen auf dem Spiel steht. Und für jene, die sich bisher unter den Millennials nichts vorstellen konnten, eine erste Einführung in das, was viele junge Erwachsene heute bewegt, wenn sie Kirche meinen. Das Buch ist insbesondere für all diejenigen eine wichtige Lektüre, die noch keinen Redaktionsschluss mit ihrer eigenen Verkündigungssprache gemacht haben.

(Mir wurde vom Verlag ein kostenloses Rezensionsexemplar zur Verfügung gestellt.)


Der Jargon der Betroffenheit –
Wie die Kirche an ihrer Sprache verreckt
Erik Flügge
Kösel-Verlag
16,99 € (Paperback)
Link zur Verlagshomepage

Eine Antwort auf „Flügge werden? – Rezension: „Der Jargon der Betroffenheit“ von Erik Flügge“

  1. Erik Flügge ist dort stark, wo er stark ist: Bei der Sprache. Und er sagt, was er denkt. Aber vielleicht ist es nicht nur ein Problem der Sprache. Kann es sein, dass Pastorinnen und Pastoren ihrer eigenen Botschaft nicht recht vertrauen und deshalb auf Floskeln zurückgreifen müssen? Dass sie, eingehegt in das Biotop Kirche, das Risiko des freien Denkens und Erlebens nicht auf sich nehmen? Es begegnen mir nicht nur auf der Kanzel so viele Richtigkeiten – da sind sich Kirche und Politik gar nicht unähnlich.
    Nicht ganz so stark finde ich die Kapitel, die sich kirchenreformerisch geben. Die Kirche ist immer noch beides, Institution und Organisation. Ich denke, dass aus dieser Spannung manche Probleme erwachsen, die Erik Flügge sieht und unterschätzt.

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