Am kommenden Sonntag, den 9. August 2015, halte ich wieder Gottesdienste in Halle-Diemitz und in der Christuskirche in Halle. Den 10. Sonntag nach Trinitatis begeht die Evangelische Kirche traditionell als Israelsonntag. Über die nächsten Tage hinweg entsteht ein Gottesdienst und muss auch eine Predigt geschrieben werden. Dazu habe ich schon Material gesammelt, das ich hier teilen will. Dieser Artikel wird im Laufe der Woche vielleicht erweitert.
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Das Erprobungslektionar der aktuell laufenden Perikopenrevision findet ihr hier.
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Bisher wurden Verse aus dem 74. Psalm für den Gottesdienst vorgeschlagen. Darin finden sich folgende Worte:
Sie verbrennen alle Gotteshäuser im Lande.
Unsere Zeichen sehen wir nicht, kein Prophet ist mehr da,
und keiner ist bei uns, der etwas weiß.
(Psalm 74, 8b,9)
Laut Renate Wind („Dem Rad in die Speichen fallen – Die Lebensgeschichte des Dietrich Bonhoeffer“, S. 157; Rezension) unterstrich Dietrich Bonhoeffer nach den Novemberpogromen 1938 diese Verse in seiner Bibel und versah sie mit dem Datum 9.11.1938.
Beim Lesen der Psalmverse habe ich mich an diese Stelle aus der Bonhoeffer-Biographie erinnert, auch weil sie mir erst im Frühjahr während meiner Schreiberei für die Bonhoeffer-Themenwoche auf theologiestudierende.de untergekommen ist. Bonhoeffers Umdeutung erinnert heute an die als „Reichskristallnacht“ euphemistisch beschriebenen Übergriffe auf Synagogen und jüdischen Einrichtungen und Läden, die vielerorts zerstört und niedergebrannt wurden.
Mich erinnern die Psalmverse aber auch an die zahlreichen Verbrechen, die auch heute an Symbolen des Judentums und Juden selbst in unserem Land und in Europa verübt werden. Bis heute steht vor der Neuen Synagoge in Dresden immer ein Polizeiauto, aus gutem Grund. Und in dem Tohuwabohu rund um das Charlie-Hebdo-Attentat in Paris ist häufig untergegangen, dass in einem Supermarkt für koschere Waren vier Juden ermordet und weitere als Geiseln genommen wurden. Der Attentäter starb bei der Erstürmung des Ladens, ein paar Tage später fand eine große Trauerfeier in der Pariser Synagoge statt und ein Begräbnis in Israel.
Und dann ist ja im Psalmwort nicht die Rede allein von jüdischen Gotteshäusern, sondern von allen Häusern Gottes. Damit rücken alle Verbrechen an religiösen Minderheiten in meinen Blick, auch die Unterdrückung vieler Christen, sei es in muslimischen Ländern oder in Indien. Dort müssen auch Christen um ihr Leben fürchten und Kirchen brennen.
Kein Prophet ist mehr da und keiner ist bei uns, der etwas weiß. Das gemahnt mich an die Ratlosigkeit vieler Menschen guten Willens in Deutschland und überall auf der Welt im Angesicht des Terrors oder des Fremdenhasses. Stellvertretend für die Ratlosigkeit, die ich auch in meiner Heimat Dresden in den letzten Monaten immer wieder erlebt habe, ein Zitat aus einem Text von Michel Friedman, den er über seinen Besuch in Freital für die B.Z. geschrieben hat:
„Lutz Richter erschreckt mich mit einem resignierenden Kommentar. „Auf die Dauer werden wir das nicht schaffen. Weil wir nicht genug sind und die Kräfte der Gutwilligen schwinden.“ „Werden die Nazis also das letzte Wort haben?“, hake ich nach. „Wenn wir das politisch in den Griff bekommen: Nein.“ Ich frage ihn, ob er einen politischen Plan habe. Schweigen. Ich wiederhole meine Frage: „Ihre Partei hat doch fast 20 Prozent im sächsischen Landtag. Sie müssen doch einen Plan haben. Schweigen. Und schließlich, nach einigen Minuten, gequält. „Erstens: Stärkung der Initiativen. Zweitens: Interkulturelle Kompetenz.“
Richter merkt, dass das nicht sehr viel ist in Anbetracht dessen, dass in diesem Jahr in ganz Deutschland 500.000 Flüchtlinge erwartet werden. Seit Monaten weiß die Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik, was auf sie zukommt. Eine der reichsten Industrienationen der Welt scheint nicht in der Lage zu sein, mit einer Bevölkerung von über 80 Millionen, diese Herausforderungen zu managen und zu finanzieren.“
Keiner ist bei uns, der etwas weiß. Das stimmt ja nicht, will ich laut sagen: Viele Menschen – auch ich – beschäftigen sich tagtäglich mit den erschütternden Nachrichten vom Flüchtlingselend, vom Wüten des Islamischen Staats, etc.. Und nicht nur mit den aktuellen Nachrichten sind viele von uns vertraut, wir kennen auch die Hintergründe vieler der aktuellen Konflike – was meine Ratlosigkeit manchmal jedoch nur noch größer macht, wie sollen so komplexe Probleme wie der Nahost-Konflikt, das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Religion, Herkunft und Sprache in Europa, die Not der Flüchtlinge, die soziale und wirtschaftliche Not im Süden Europas und darüber hinaus gelöst werden? An weisen Frauen und Männern aber gebricht es uns nicht, vielleicht eher an genug geduldigen Ohren, die ihnen zuhören.
Ich erinnere mich an ein Gespräch während eines FSJ-Seminars im letzten Winter (hier habe ich in anderem Zusammenhang schon einmal kurz darüber geschrieben): „Wenn mein Gesprächspartner selbst Zahlen und Statistiken des Statistischen Landesamts in Frage stellt und damit sein mangelndes Vertrauen auch in diese Institution dokumentiert, wie soll ich darauf reagieren? Können staatliche Stellen es sich überhaupt leisten, weniger arrogant aufzuschlagen? Wo die Faktenbasis auf Grund grundstürzender Verwirrung geleugnet wird, hilft wohl auch Demut nicht weiter.“
Unsere Zeichen sehen wir nicht. Viele Menschen vertrauen nicht mehr den hergebrachten Ordnungen. Was die Nachrichten angeht nicht mehr der Tagesschau. Was die Zukunft angeht keinem der Politiker. Was ihr Leben angeht keinem Gott mehr? Dass am Grunde vieler unserer aktuellen Probleme in Deutschland und Europa – wie oft ist allein in der Griechenlandkrise die Forderung nach mehr Vertrauen gestellt worden? – eine Vertrauenskrise liegt, ist inzwischen bekannt und fast schon eine Binse, wenn man es bei einer bloßen Forderung belässt. Doch wie kann neues Vertrauen gestiftet werden? Doch nur durch gemeinsames Er-Leben – Erfahrungungen der Bewährung einer Gemeinschaft.
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Von der Aktion Sühnezeichen gibt es auch dieses Jahr wieder Hinweise und Hilfen zur Gestaltung des Israelsonntags. Hier entlang.
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Das Christentum sei das neue Israel. Israel, dass ist nicht nur der Zweitname Jakobs, den er am Jabbok erhält, als er in Richtung Pniel aufbricht. Israel, das ist sein Volk, das sind seine Nachkommen, unsere Vorfahren im Glauben. Die Frage des wahren Israel wurde in der Kirchengeschichte immer wieder gestellt, erst nach der Shoah und dem 2. Vatikanischen Konzil (auf Seiten der röm.-kath. Kirche) hat die Kirche als Ganzes (Ausnahmen gibt es bis heute!) einen neuen Weg an der Seite des Judentums eingeschlagen und so vielleicht wieder zu dem zurückgefunden, was Paulus schon im Brief an die Gemeinde in Rom schrub.
Ich will in meiner Predigt eigentlich gar nicht über diese Leidensgeschichte der Juden sprechen: Sie nicht wieder aus den Augen des Christen betrachten, der nach Jahrhunderten nichts anderes tun kann, als Abbitte zu leisten. Sehe ich die Juden dann nicht wieder und abermals nur als Opfer einer Geschichte, die von Christen gemacht wird und die ich weitererzähle?
Da fällt mir das Geprahle vom jüdisch-christlichen Abendland ein, was für ein Quatsch. Diese Wortpaarung suggeriert ja Partnerschaft und Einmütigkeit, wenn aber dann ist die Geschichte des Abendlandes eine Geschichte auch der Verbrechen an den Juden und ihrer Unterdrückung bis hin zur fast völligen Ausrottung während der Shoah.
Man muss froh darüber sein, meine Generation sollte es, ich bin es: Über jedes Samenkorn des Jüdischen soll sich gefreut werden, das uns in Europa und Deutschland noch geblieben ist. Wegen ihrer einmaligen Geschichte, Kultur – des Witzes, des Essens und der Musik wegen – wegen ihres Denkens und Glaubens, wegen ihrer Bibel und dann auch zuletzt, weil ihr Leben hier in Europa uns genauso wie jedes Flüchtlingsschicksal an die andere Seite der Geschichte erinnert, die die Mehrheitsgesellschaft noch nie zu sehen vermochte.
Das Christentum sei das neue Israel. Wenn überhaupt, dann sind wir damit vollumfänglich und fürchterlich gescheitert. Wenn überhaupt, bedeutete neues Israel zu sein, sich an den Rand zu stellen.
Das Christentum sei das neue Israel. Ist es nicht so, dass in der Bibel – dem „alten“, wie dem „neuen“ Testament – jede Verheißung einer Gruppe, einer Gemeinschaft gilt? Erst dem Volk, ganz Israel, dann den Christen, die sich in diese Tradition stellen? Gelten die Verheißungen Gottes gar nicht mir kleinem Individuum – zumindest nicht alleine -, sondern nur mir als Teil einer größeren Gemeinschaft, eines Volkes der Gottsucher und Wandernden? Gibt es Gottes Verheißungen im doppelten Sinne nur im Plural?
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Marek Halter schreibt in seinem Buch „Alles beginnt mit Abraham“, S. 74 ff., über die erste Rückkehr Moses vom Berg Sinai und das Volk Israel:
„[…] Als er endlich zu den Seinen hinabstieg, mußte Moses mit ansehen, wie sie dem Wahn verfallen waren und mit Trinkgelagen und wilden Tänzen dem Goldenen Kalb huldigten. Die sich gestern noch gegen die Unterdrückung aufgelehnt hatten, waren erneut bereit, sich dem erstbesten Despoten zu unterwerfen, sobald dieser ihnen nur eine leichte und nahe Zukunft versprach.
Die meisten von ihnen hatten Ägypten nur verlassen, um ihrem unmittelbaren Leid zu entfliehen. Und nicht deshalb, um ein neues Land und eine neue Welt zu gründen. Was bedeutete ihnen die Freiheit, wenn sie ihnen nur als Quelle der Angst, als nutzlose Prüfung erschien, deren Sinn und Zweck sich ihnen entzog? Daß ihre Gegenwart so beschwerlich, so ungewiß und bedrohlich war, wurde für sie ebenso unverständlich wie unerträglich. Derart beunruhigt, waren sie bereit, sich von allen Mühen, die sie bisher auf sich genommen hatten, loszusagen. War es letzten Endes nicht besser, unter der Knute zu bleiben? […]“
Unter allen Einfällen und Assoziationen zu diesen Sätzen drängt sich mir ein Vergleich mit den Ostdeutschen am meisten auf, die sich nach der Wende sehr wohl in einem neuen Land wiederfanden.
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. Er beginnt mit Houellebecqs Buch vom Frühjahr als Aufhänger und ganz zum Schluss schreibt er ein Gedicht an seine Idealvorstellung vom Islam: schrub in der Christ & Welt vom letzten Wochenende über seinen idealen Islam
„Die meisten Muslime halten nicht wegen der Anzahl der Sexualpartner oder wegen der autoritären Ordnung an ihrer Religion fest, sondern wegen der lebendigen Spiritualität. Laut Koran ist das Heilige dem Menschen näher als seine Halsschlagader, und damit stets immanent. Weiter heißt es dort, dass jeder Mensch den Geist Gottes in sich trägt. Besonders das Herz gilt als der Thron der göttlichen Präsenz: „Siehst du, Momo, sie drehen sich um sich selbst, sie drehen sich um ihr Herz, um den Ort, wo Gott wohnt.“ So erklärt Monsieur Ibrahim im Roman Monsieur Ibrahim und die Blumen des Koran von Éric-Emmanuel Schmitt seinem jungen Freund Momo das Tanzen der Derwische.“
„Meinem idealen Islam habe ich dieses Gedicht geschrieben: Errare humanum est/ Es beginne das Fest/ Da ohne Fleisch und ohne Knochen/ Das Wort im Wesen wird gesprochen.// So erglaube dir Wissen/ Erliebe dir Gott/ Ersterbe dir Leben/ Erlebe den Tod/ Ertanze dir Stille/ Erschweige das Wort/ Und so fort und so fort …“
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Im Gottesdienst möchte ich gerne In deinen Toren … singen lassen, es wird auf die Melodie von Jerusalem of Gold gesungen. YouTube ist voll mit Interpretationen. Zwei Erinnerungen habe ich an das Lied:
Zum Reformationstag 2007 predigte Friedrich Schorlemmer in der Schlosskirche in Wittenberg. „Noch heute erinnere ich mich an meinen ersten Reformationstag in Wittenberg […] Sehr engagiert wie immer warf er zu Beginn der Predigt mit Pappkartons um sich, die eine Mauer symbolisierten und ihm den Weg zur Kanzel versperrten. Seine Predigt wurde von In deinen Toren werd ich stehen unterbrochen. Wir sangen nur den Refrain, er ist mir bis heute nicht aus den Ohren gegangen.“ (von hier)
Irgendwann im Winter/Frühjahr diesen Jahres habe ich auf mdr-Figaro ein Interview mit irgendeinem Kulturschaffenden gehört, der einen Teil seiner Studienzeit in Israel verbracht hat. War es der neue Direktor des Jüdischen Museums in Berlin Peter Schäfer? Ich weiß es nicht mehr genau. Jedenfalls erzählte er davon, dass er von seinen jüdischen Freunden damals eine andere Version des Liedes lernte, eine mit verunglimpfenden Text gegenüber einem Politiker. Im Rahmen des Interviews durfte er sich mehrere Musikstücke wünschen, unten ihnen auch Jerusalem of Gold. Und wenn ich mich richtig erinnere, war es eine Instrumentalversion.
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Noch einmal Marek Halter (s.o.). Diesmal über die Gründung des Staates Israel und warum diese nicht das Ergebnis der Shoah gewesen ist (S. 173 ff.):
„Zwar macht Israel, die Verkörperung des vor zweitausend Jahren von den Römern zerstörten Königtums, das seither von Millionen der Meinen erträumt wurde, durchaus einen Teil meiner Identität [Anm.: z.B. als französischer Jude] aus, doch habe ich stets die – im Westen so verbreitete – Vorstellung zurückgewiesen, wonach die Schaffung des Staates Israel das Ergebnis der Shoah gewesen sei. Oder schlimmer noch, eine Prämie! Eine Art Entschädigung für den Preis eines Genozids.
Das ist ein schrecklicher Gedanke, der aus dem schlechten Gewissen der Abendländer und aus der Frustration der Araber geboren wurde. Die Shoah verwandelt sich dabei in eine Art Purgatorium, eine notwendige Durchgangsstation für ein sündhaftes Volk, das das Paradies erfleht!
Die Darstellung der Tatsachen ist zudem auch historisch falsch. Weit davon entfernt, zur Schaffung des Staates Israel beigetragen zu haben, brachte die Shoah vielmehr die Quelle der Immigration zum Versiegen und trocknete eben jenes Reservoir aus, aus dem der Zionismus Generationen von Pionieren hätte gewinnen können.
Die Wirklichkeit sieht ganz anders aus.
Wie jedes Land, das für seine Unabhängigkeit kämpft, verdankt auch Israel seine Entstehung dem Kampf und der Mobilisierung gegen die Kolonialmacht. Einem oftmals brutalen Kampf, dessen siegreiches Ende den Niedergang des britischen Empire einläutete. Bei der Lektüre des Briefwechsels zwischen Ben Gurion und Gandhi, die zur selben Zeit die schwere Aufgabe der Entkolonialisierung auf sich genommen haben, wird dieser politische Einsatz deutlich.
In Wirklichkeit existierten die Strukturen des Staates Israel bereits seit den dreißiger Jahren. Lange vor dem Zweiten Weltkrieg gab es bereits ein starkes Netz landwirtschaftlicher Kommunen, die Kibbuzim. Eine moderne Gewerkschaft, die Histadrut, vereinigte Tausende von jüdischen Arbeitern. Es gab eine Sozialversicherung, die Kupat Holim, sowie eine Industrie, politische Parteien und eine freie jüdische Presse. Auch ein Schul- und Hochschulsystem, eine Regierung und ein Parlament – beide natürlich nur offizösen Charakters – sowie eine Armee. Eine Geheimarmee, die sich aber in Form von in die britische Armee integrierten Brigaden und Kommandos am Krieg gegen den Nazismus beteiligte, zum Beispiel am Kampf gegen die Armee Rommels in der lybischen Wüste. Einige ihrer Mitglieder sprangen mit Fallschirmen über von den Nazis besetzten Ländern wie Ungarn und Italien ab, um dort den jüdischen Widerstand zu organisieren.
Die Anerkennung Israels durch die Vereinten Nationen im Jahre 1947 war in Wirklichkeit die Sanktionierung eines politischen Siegs der Juden und keineswegs ein „Geschenk“, noch weniger die Begleichung einer Schuld.“
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Ich erinnere mich an die Vorbereitung des Wegs der Erinnerung 2007. Im Rahmen dieser jährlichen Veranstaltung, die das Stadtjugendpfarramt in Dresden in Kooperation mit weiteren Vereinen und Schulen durchführt, wird mit dem Fahrrad jüdische Geschichte erfahren. Eine Station hatte „meine“ Junge Gemeinde vom Weißen Hirsch zu gestalten. Im Vorfeld gab es ein Treffen mit Lehrerinnen der verbotenen Schule und Mitarbeitenden z.B. der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit in Dresden.
Besprochen wurde u.a. der Psalm, mit dem nach jedem Halt der Stationenvortrag eingeleitet werden sollte. Psalm 1 in der Verdeutschung von Buber/Rosenzweig. Ich erinnere mich auch noch sehr lebendig an meinen unverständigen Einspruch, das klinge wohl etwas zu fremd für die Jugendlichen, ob nicht besser die Luther-Übersetzung, die mir im Ohr klinge („Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen …“), verwendet werden sollte. Na ja, man lernt immer dazu.
Heute schätze ich die Verdeutschung von Buber/Rosenzweig sehr. Meine erste Begegnung mit ihr hatte ich jedenfalls „damals“ im Wohnzimmer engagierter Christen, die das jüdische Erbe Dresdens nicht in Vergessenheit geraten lassen wollen.
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Erst am Wochenende habe ich in der aktuellen Ausgabe der Publik-Forum (Ausgabe 14/2015) einen Artikel über Martin Buber gelesen: „Leben ist Begegnung“ – Martin Buber träumte von einem friedlichen Miteinander von Juden und Arabern in Israel und von demütigen Religionen, die sich nicht so wichtig nehmen. Was ist daraus geworden?
Ich habe das Heft ärgerlicherweise in Dresden liegen lassen und so kann ich jetzt am Abend in Halle nicht wörtlich daraus zitieren. Auch, weil die Inhalte des Heftes nicht frei im Netz stehen. Jedenfalls steht in dem Artikel ein Zitat Bubers, er schildert eine wiederkehrende Begebenheit aus seiner Kindheit:
Zu Beginn des Unterrichts hatten sich alle Schüler – Christen und Juden gleichermaßen – zu erheben. Der Unterricht wurde dann im Namen „Des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes“ begonnen, jeden Morgen. Er schildert sein Befremden und vor allem das Gefühl der Nicht-Zugehörigkeit. Der Autor Karl-Josef Kuschel bringt diese Schilderung in den Zusammhang mit Buberschen Worten von der Vergegnung und Fremdandacht. (Vielleicht ist ja hier noch mehr darüber zu erfahren: Auszüge des Buches „Martin Buber – seine Herausforderung an das Christentum“ von Karl-Josef Kuschel auf GoogleBooks.)
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Ich erinnere mich an zwei „jüdische“ Mahlzeiten:
Ein Pessach-Mahl im Religionsunterricht in der 7. Klasse. Unser wenig talentierter Lehrer, der vor allem unsere Klasse nicht im Griff hatte, schaffte es gemeinsam mit uns, den Tisch, auf dem sich mancherlei fremdartige Leckerei befand, zu leeren. Am Ende der Stunde stand mehr als die Hälfte der Klasse vor der Tür, statt am Tisch zu sitzen und zu essen. Es mag auch daran gelegen haben, dass viel geredet und erzählt, aber wenig gegessen werden sollte.
Mit Freunden haben wir im Herbst 2013 ein kombiniertes Hanukkah/Thanksgiving-Essen bei uns in der Küche in der Langen Straße gefeiert. Es gab Hähnchen und wir entzündeten reihum die Kerzen.
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Als mir bewusst wurde, dass ich zum Israelsonntag zu predigen habe, wendete ich meinen Blick zuerst auf die Bücher in unserem Bücherregal. Woher kommt mir Hilfe? Ich habe dann einige Bücher mit Bezug zu möglichen Themen gefunden, bevor mir klar wurde, dass mich ein jüdisches Buch seit meiner frühesten Kindheit begleitet.
Es sind vor allem die Legenden, Erzählungen, Mythen des ersten Testaments, der jüdischen Bibel, die ich seit der Christenlehre und dem Kindergottesdienst mit mir herumtrage. Daran musste ich mich erstmal wieder erinnern und hab sie dann wiedergefunden:
„Als Kind hatte ich nur eine ungefähre Vorstellung davon, wie Gott sein könnte. In meiner Erinnerung jedenfalls, erzählte uns meine Mutter keine „Ammenmärchen“ vom lieben Gott hinter den Wolken. Mein Kindergott setzte sich aus den Erzählungen zusammen, die wir da und dort aufschnappten, vor allem in der Christenlehre. Da war die Rede vom Gott in der Feuersäule, der das Volk Israel durch die Wüste führte. Da war die Rede vom Gott, der dem kleinen David Mut und List gab, den viel größeren und stärkeren Goliath zu besiegen. Da war das Gleichnis vom verlorenen Sohn, der nach wilder Zeit zu seinem Vaterhaus zurückkehrte, und der von seinem sehnsüchtigen Vater bereits erwartet, in die Arme geschlossen, geherzt, geküsst, gefeiert wurde. Und da war der Gott aus dem Kinderlied, der es Abend und Tag werden lässt und über allem seine Wacht hält „Morgen früh wenn Gott will, wirst Du wieder geweckt.““ (aus meiner Predigt „Vom Wiedergefundenen“, 22. Juni 2014)
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Aus dem Aufsatz „Altes Gift in neuen Schläuchen. Antijudaismus, Antisemitismus, Antizionismus“ von Katharina von Kellenbach aus dem interessanten Buch „Rechtsextremismus als Herausforderung für die Theologie“ (Sonja Angelika Strube (Hg.), Herder 2015, Rezension folgt):
„Ich möchte zeigen, dass der christliche Antijudaismus auch weiterhin als Wurzel aller anderen Erscheinungsformen zeitgenössischen Antisemitismus zu sehen ist. Der religiöse Antisemitismus besteht aus mehr als Zustimmung zur These, dass „die Juden für den Tod Jesu verantwortlich sind“. Die Kirche muss aus einer innerchristlichen theologischen Logik der Synagoge die Existenzberechtigung entziehen. Das unterscheidet Antijudaismus prinzipiell von der Polemik gegenüber anderen Religionen. Nur das Judentum stellt eine existenzielle Bedrohung der christlichen Verkündigung dar. Deshalb muss christliche Theologie immer wieder neu begründen, warum die Verheißungen des Alten Testamentes ausgesetzt und auf die Kirche übertragen wurden. Diese Begründung lieferte der Gottesmordvorwurf. Die Kirche hat sich traditionellerweise als Erbin Israels verstanden und apodiktisch das Ende des jüdischen Glaubens und der jüdischen Gemeinschaft verkündet. Mit dem Kommen Jesu Christi verlor die jüdische Religion Sinn, Zweck und Funktion. Diese rhetorische Grundstruktur ist in der heiligen Schrift, der Begrifflichkeit vom „Alten“ und „Neuen“ Testament sowie den Passionsgeschichten der Evangelien angelegt. Wo immer die Bibel mit ungeübtem Blick gelesen wird, werden Juden als stereotypische Feinde, Verschwörer und blinde Anhänger einer überholten und legalistischen Religionspraxis wach. Juden agitieren gegen Erneuerung und planen in der Rolle als Pharisäer und Hohepriester die Verfolgung der Jesusbewegung, mit der sich alle christlichen Gruppen theologisch und ideologisch identifizieren. Juden gehören von nun an einem veralteten überholten Glauben an, dem jegliche theologische Legitimität und Gültigkeit fehlt.“
Sich dieser „rhetorischen Grundstruktur“ zu entziehen, erscheint leichter gesagt als getan. Wie oft habe ich schon den alten Luther verteidigt, wenn er wieder einmal als Antisemit verunglimpft wurde. Dann sagte ich zu seiner Verteidigung, dass er wohl Antijudaist war, Antisemitismus damals aber noch gar nicht „erfunden“ war. Bei aller Berechtigung dieser Unterscheidung ist schon wichtig festzuhalten, dass der Antijudaismus Luthers und der evangelischen Christen eine der Quellen des modernen Antisemitismus ist.
Die „rhetorische Grundstruktur“ zieht sich durch das ganze religiöse Vokabular der Christenheit. So wird es beim Gottesdienst am Israelsonntag und auch sonst darauf ankommen, sich in diesem schwierigen Gelände zu bewegen. Die Bibeltexte müssen nicht in der Lutherübersetzung gelesen werden. Ich kann bewusst vom ersten und zweiten Testament sprechen oder auch von der jüdischen Bibel. Und vor allem sollte ich darauf achten, dass ich den Gegensatz „Gesetz“ und „Evangelium“ nicht zu einem Gegensatz „jüdisch“ gegen „christlich“ mache, auch nicht unabsichtlich unter der Hand.
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Es scheint mir schon so zu sein, dass der christliche Widerwille, Anderes oder mehr als die eigene Verkündigung gelten zu lassen – paradigmatisch am Beispiel der Ablehnung der Synagoge gezeigt, wenn auch nicht darauf begrenzt – seinen tieferen Grund in der Schwierigkeit des Menschen hat, mit Differenz und Polyphonie umzugehen. Was den Christen ihr wahres Israel war (und ist), das ist manchen eben die „abendländische Kultur“, das Deutschtum, die Ruhe und Ordnung – jedenfalls das, neben dem nichts anderes denkbar und lebbar erscheint.
Sich dieser Eintönigkeit – vielmehr dieses stahlharten Dualismus – zu erwehren und dagegen vorzugehen, erscheint mir eine wichtige Aufgabe jeder Religion, gerade weil sie in ihrer je eigenen Tradition genug „Material“ mitträgt, dass unvermeidliche Verletzungen und Reibungen auffangen, erklären, einordnen kann. Religion kann Differenz erträglich machen und Polyphonie ausdeuten.
Ich kehre noch einmal zurück zu
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Das eigene Denken und Handeln von Dualismen (richtig->falsch, gut->böse, etc.) zu trennen und weiterzuführen, ist eines der Themen von Richard Rohr. Eine minimale Einführung gibt er diesem kurzen Video: