Über das Einschlafen

Mit dem Einschlafen ist das ja so eine Sache. Manchen fällt das total leicht, nicht nur abends im Bett, sondern auch zwischendurch in der Bahn oder im Auto. Während ich mit Letzterem keine Probleme habe, liege ich des Abends gerne einmal wach und grüble vor mich hin. Da ist es gut, wenn man ein gutes Buch zur Hand hat. Für das Lesen von Papier ist es jedoch notwendig, eine gewisse Beleuchtung sicherzustellen. Diese wiederum wird nicht an jedem Abend von der Mitbewohnerin goutiert. Deshalb habe ich es mir an zahlreichen Abenden zur Übung gemacht, statt zu lesen einfach etwas anzuhören.

Hörbücher wären eine mögliche Wahl. Viele – eigentlich alle außer Harry Potter – sind mir aber zu lang – dann dauert das Monate bis ich wenigstens etwas darin vorankomme – denn ich schlafe, wenn ich etwas höre, doch sehr schnell ein. Vielleicht bin ich auch durch die hervorragende Lese von Rufus Beck und Stephen Fry für andere Hörspielvorleser verdorben, vor allem wenn es sich um aus dem Fernsehen bekannte Schauspielerinnen handelt. Überhaupt habe ich in letzter Zeit für Belletristik und Lyrik zumindest abends im Bett kein Ohr.

Deshalb habe ich mich auf Gespräche verlegt. Eigentlich sind es ja Aufnahmen in Bild und Ton, aber weil es in ihnen um so tolle Sachen wie Bücher oder Erinnerungen geht, ist es gar nicht notwendig, zuzuschauen. Zuhören reicht. Wenn ich nach ein paar Minuten einschlafe, kann ich am nächsten Abend einfach wieder einsetzen. Nach zwei, drei Abenden aber habe ich ein Gespräch dann komplett gehört und also nicht das Gefühl, den Anschluss oder Zusammenhang verpasst zu haben.

Ich weiß, es ist despektierlich, gut geführte Gespräche, die von interessanten Menschen über intelligente Themen bestritten werden, als Einschlafhilfe zu gebrauchen. Man kann sich ja einbilden, so noch beim Einschlafen etwas zu lernen. Ich finde es jedenfalls ganz beruhigend wenigstens zum Einschlafen ruhiger, gesitteter Konversation zu lauschen.

Hier nun also eine kleine Auswahl meiner Einschlafhilfen:

Lauter schwierige Patienten – Golo Mann und die Familie Mann

Die ganze Gesprächsreihe, die der SWR unter Leitung von Peter Voß und mit Marcel Reich-Ranicki aufgenommen hat, ist sehenswert. Auf jener großen Videoplattform, von der ich alle Gespräche hier einbinde, finden sich noch weitere Ausgaben. Das Gespräch über Golo Mann ist für mich aus zweierlei Gründen interessant. Erstens, weil ich Golo Manns Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sehr schätze, seitdem sie mir im Geschichtsleistungskurs empfohlen wurde. Zweitens, weil Reich-Ranicki im Gespräch nicht nur auf das weitere Schicksal der Familie Mann eingeht, sondern, wie in allen anderen Ausgaben auch, viele weitere Personen und Begebenheiten des literarischen Lebens erinnert und ausplaudert.

Talk im Tipi – Der radioeins-Kommentatoren-Talk

radioeins ist ein Sender des RBB, auf dem viel schönes Programm läuft (u.a. auch Sanft & Sorgfältig, über das ich ja bei anderer Gelegenheit schon geschrieben habe). Der Sender lud seine Kommentatoren in ein Zelt in Berlin ein, um mit ihnen die Lage der Welt zu bereden. Außerdem hat der Kabarettist Florian Schroeder zwei Auftritte, da spul ich aber immer vor. Zu deutschem Kabarett kann ich nicht einschlafen. Mit dabei sind u.a. Hajo Schumacher und Friedrich Küppersbusch.

Das Video stammt aus dem letzten Herbst, die besprochenen Themen sind teilweise erst zu Beginn dieses Jahres richtig heiß geworden. Umso interessanter zu hören, was man hätte damals alles schon wissen können. Neben einer geballten Ladung Kommentatoren-Klugschiss werden aber auch lustige und überlegte Gedanken geäußert. Weil die Sendung ja nun eigentlich auch für das Radio gemacht wurde, lässt sie sich ganz ohne Neugier auf die Gesichter der Gesprächsteilnehmer hören, die sind sowieso klüger als hübsch.

Harald Schmidt im stadtTheater in Wien am 23. November 2014

Der Journalist Peter Huemer (den man hierzulande nicht kennt, weil er ja Österreicher ist, der aber dort ziemlich bekannt zu sein scheint) führt ein sehr langes Gespräch mit Harald Schmidt. Das ist interessant und phasenweise sehr witzig. Zwischendurch hört man auch immer mal wieder eine Anekdote, die man vermeint von irgendwo anders schon zu erinnern. Macht aber nichts. Ebenfalls hörenswert ist Schmidts Gespräch bei den Sternstunden der Philosophie des Schweizerischen Fernsehens. Es ist – wie wir gleich zu Beginn des Gesprächs lernen – eine unnötige bildungsbürgerliche Übung zu behaupten, im deutschen Fernsehen müsste Platz für Schmidt sein. Aber ich stelle mir schon die Frage: Warum wissen ihn unsere alpenländischen Sprachgenossen offenbar mehr zu schätzen?

Günter Gaus im Gespräch mit Herbert Wehner (1964)

Günter Gaus gehört zu den besten Interviewern Deutschlands. Das wird umso klarer, desto länger er tot ist. Das ist immerhin schon zehn Jahre der Fall und die Frage deshalb dringlicher denn je: Wer vermag solche Gespräche zu führen und damit ein breites Publikum zu erreichen? Bauerfeind, Willemsen, Kuttner, vielleicht sogar Klaas Heufer-Umlauf? Und wer wird ihnen im Hauptprogramm dafür Platz machen? Vielleicht ja eine weitere der überzähligen Talkshows. Ich jedenfalls fände ein solches reines Interviewformat toll. Von den Interviews Günter Gaus findet sich auf besagter Videoplattform eine große Anzahl, darunter nicht nur Politikerporträts – denn genau das sind diese Gespräche – sondern auch Unterhaltungen mit anderen Personen des Zeitgeschehens, z.B. mit einer ketterauchenden Dorothee Sölle oder einer ebenso qualmenden Hannah Arendt.

Gaus führte meines Wissens nach zwei Gespräche mit Herbert Wehner. Eines im Jahre 1964, da befand sich die SPD noch in der Opposition, ein Zweites führten die beiden im Jahr 1968, da war die SPD Juniorpartner der ersten Großen Koalition. Ich habe hier das Gespräch von 1964 gewählt, weil Wehner in ihm umfassend biographische Auskunft gibt. Wehner ist in Dresden geboren (nicht weit von meiner Grundschule entfernt, an der im letzten Jahre meines Aufenthaltes dort ein Denkmal zu seinen Ehren errichtet wurde) und hat in der Stadt seine ersten auch politischen Schritte gemacht. Es sei in diesen Tagen betont, dass auch so große Männer wie Wehner aus Dresden gekommen sind.

Stephen Fry Live at the Sydney Opera House 2010

Stephen Fry ist ein sehr intelligenter Mann mit großen Verdiensten. Mehr muss ich an dieser Stelle nicht schreiben, denn wie sollte man sein Wirken in wenigen Sätzen zusammenfassen? Bei dieser Aufnahme handelt sich nur teilweise um ein Gespräch. Den ersten Teil des Abends bestreitet Fry alleine auf der Bühne der Oper in Sydney. Er ist intelligent, witzig, ungemein einnehmend und interessierend und ein öffentlich zelebrierender Intellektueller. An dieser Stelle sei ihm zu seiner gestrigen Hochzeit mit Elliott Spencer gratuliert. Eine Eheschließung, die in Deutschland leider noch immer nicht möglich wäre.

Es mag ein wenig paradox klingen: Aber gerade in diesen Wochen, die von Gerede mehr als übervoll sind, ist es doch tröstlich, zum Einschlafen guten Gesprächen zu lauschen. In diesem Sinne: Gute Nacht.