Er hat es wieder getan! In schöner Regelmäßigkeit nimmt sich Andreas Mertin in seinem hervorragenden Magazin für Kunst, Kultur, Theologie und Ästhetik Tà katoptrizómena meine Artikel vor und unterzieht sie einer informierten Kritik. Solche Leser:innen kann man sich nur wünschen!
Diesmal knöpft er sich eine meiner Kolumnen für zeitzeichen.net vor. Darin schreibe ich – grob überschlagen -, dass wenn sich die Kirche mit ihren analogen und digitalen Formaten eh schon an Leute wendet, die erhebliche theologische und lebensweltliche Kompetenzen aufgebaut haben, sie das doch am besten auch mit Inhalten täte, die diese Menschen nicht unterfordern.
„Das ist, nur um es klarzustellen, kein digitales Problem. Vielmehr haben sich die digitalen Formate leider nur nicht ausreichend von dieser analogen Angewohnheit der Kirchen emanzipiert. Auch im präsentischen Sonntagsgottesdienst wird nach geltender Leseordnung aller lieben Jahre dem Ü60-Stammpublikum dasselbe erzählt – als ob eine Großmutter von einem Pfarrer noch etwas über Maria und Martha lernen könnte.“
Um aus diesem Dilemma rauszukommen, mache ich zwei Vorschläge: 1) Könnte „die Kirche“ sich aus den üblichen Ästhetiken und Formen herausbewegen, um wirklich eine andere, neue Zielgruppe zu erreichen. Ganz kurz: Also Leute, die mit dem Einsteigerkurs vielleicht gut bedient wären. 2) Sollte sie, wenn sie das nicht macht, gucken, dass sie mit der Kompetenz der Zuschauer:innen rechnet. Ganz kurz: Eben keine „Aroma-Pflegedusche“-Sprüche anbieten.
„Es gibt sie doch, die Menschen die rhythmisch immer wieder zur Kirche kommen. Vielleicht nicht jeden Tag oder jede Woche, aber doch zu geistlichen Hochzeiten wie Advent und Weihnachten, Passionszeit und Ostern sowie zu den wirklich wichtigen Momenten im Lebenslauf. Dann sollte die Kirche mehr aus ihrem Gepäck herauszaubern als die immer gleichen Nettigkeiten. „Sei frei, verrückt und glücklich!“, ist dafür zu wenig. Der Andachts-Spruch steht übrigens auf einer „Aroma-Pflegedusche“, die „sonnigen Glücksduft“ verspricht.“
Von niemanden werde ich so gerne falsch verstanden wie von Andreas Mertin, der mir immer wieder größere Schläue unterstellt, als ich anzubieten habe. Im Wesentlichen kritisiert er in seinem Artikel (der übrigens zügiger gelesen ist, als vom Autor angegeben):
1) Dass die Rede vom „Schwarzbrot“ als Bild guter Theologie unhistorisch (stimmt), missverständlich (offensichtlich) und klerikal ist.
„Die Rede von der Theologie als hartem Schwarzbrot, das nun „für das bekannte Publikum“ angesagt sei, ist dagegen eigentlich Kastendenken. Denn sie meint ja letztlich, eine Art Spezialwissen einer Klerikerkaste müsse nun dem Volk und der Kerngemeinde zugemutet werden. Seit der reformatorischen Wende ist von der Gemeinde als Publikum gar nicht mehr zu reden.“
So hab ich es natürlich nicht gemeint, was Mertin auch wissen dürfte, denn gegen das „Kastendenken“ wendet sich ja der ganze Anlauf der Kolumne. Es geht ja gerade darum, die mitdenken und -glaubenden Zuschauer:innen als Subjekte ernst zu nehmen und nicht mit Brotkrumen abzuspeisen.
Die evangelischen Kirchen haben seit der Reformation trotz ihrer Theologie ein Kirchenwesen ausgeprägt, das sehr wohl die Publikumsgemeinde kennt. Wenn ich das richtig sehe, haben sich dagegen sowohl Pietisten als auch Aufklärer (irgendwie dassselbe in diesem Punkt) gewehrt und später noch weitere, eigentlich alle, Kirchenreformbewegungen. Aber es ist heute leider in vielen evangelischen Kirchen Realität und – das ist der Punkt der Kolumne – wird leider auch in den digitalen Raum übertragen.
Needless to say, dass ich bei Schwarzbrot natürlich an Fulbert Steffensky und nicht an Peter Hahne denke. Auch das weiß Mertin, aber die Spitze ist natürlich darum nicht weniger witzig. An dieser Stelle ein Gruß an den „Gauland des ZDF“ und „evangelikalen Kulturchauvinisten“!
2) Kritisiert Mertin, dass ich abschätzig über „Heidschibumbeidschi-Andachten“ schreibe:
„Zunächst gilt es jedoch ein entschiedenes Wort für die Heidschi-Bumbeidschi-Theologie einzulegen. Sie ist zunächst einmal Volkstheologie, ein religiös-populärkulturelles Plädoyer dafür, dass der Schmerz, das Leid und der Tod nicht das letzte Wort auf dieser Welt haben mögen. Heidschi-Bumbeidschi, das wird der Autor hoffentlich wissen, ist im 19. Jahrhundert ein Dialog mit Kindern in Form eines Wiegenliedes über den Tod in doppelter Variation: den Tod der Mutter und den Tod des Kindes.“
Nö, das wusste ich nicht.
Und ich bin mir, weil wir ja schon bei einer ironischen „Hermeneutik des Verdachts“ sind, sogar sicher, dass Mertin weiß, dass ich es nicht wusste. Denn die ganze Kolumne geht ja in eine andere Richtung, will die „Volkstheologie“ (Mertin) gegenüber dem, was Kirchenprofis anbieten, stark machen.
Ich wünsche mir also eigentlich, das habe ich durch die Lektüre von Mertins Artikel gelernt und bin dahingehend schlauer geworden, eigentlich weniger „Schwarzbrot“-Theologie (wie er sie versteht) und mehr „Heidschi-Bumbeidschi“-Theologie (wie er sie kulturhermeneutisch kompetent versteht und im Artikel beschreibt). Mir bleibt als einziger Trost, dass wohl auch die Leser:innenschaft meiner Kolumne unter „Heidschibumbeidschi“ einfach einen umgangssprachlichen Terminus für kitschige Simplifizierung und Infantilisierung versteht. Gut, dass man jetzt bei Mertin in Tà katoptrizómena nachlesen kann, dass eine recht verstandene „Heidschibumbeidschi“-Theologie die Antwort und keineswegs das Problem ist.
3) Mertin unternimmt auch den Versuch, Wörter wie „Impuls“ und die „lebensberatenden Anregungen“ zu verteidigen. Mein Punkt ist doch aber nicht, wie Kirchenprofis ihre Formate zu benennen belieben, sondern dass sie unter wechselnden Überschriften das immer Gleiche anbieten. Mertin schreibt:
„Impulse dagegen sind vielleicht das Wertvollste, was wir bieten können – endlich etwas nicht zu Ende Gedachtes, sondern etwas, was zum Weiterdenken anregt, keine fertigen Entwürfe, sondern Einwürfe, Fragmente, Zwischengedanken. Eine fragmentarische Theologie, die den Menschen Impulse für ihr Leben bietet, wäre ebenfalls nicht das Schlechteste in der Gegenwart.“
Ja! Wenn es doch nur so wäre! In meiner Kolumne bringe ich mit den geschlechtergerecht formulierten Losungen in der Passionszeit der EKBO ein Beispiel dafür, wie das durchaus gelingen kann. Ansonsten aber sehe ich analog wie digital viele, viele Sachen, die eben nicht „fragmentarische Theologie“ sind, die darum weiß, dass sie nicht auf alles eine Antwort hat. Ich sehe zwar vieles „nicht zu Ende Gedachtes“, aber mehr im Stile meiner Metapher-Verwendung in der kritisierten Kolumne als im Sinne einer Anstiftung zum gemeinsamen Nachdenken.
Gleich zu Beginn seines Artikels schreibt Mertin etwas sehr Kluges: Die Kirche sei eben nicht ratlos, sondern „in Wirklichkeit hat sie mehr Lösungen als Probleme anzubieten“. Das stimmt! Und das spiegelt sich eben auch in der digitalen Verkündigung wider. Dagegen richtet sich meine Kolumne.
ceterum censeo
Ich werde mich also fürderhin bemühen, noch genauer jedes Sprachbild zu überprüfen, bevor ich es in einer kaskadierenden Aufzählung unterbringe. Wenn eine kurze Kolumne wie diese, trotz der offensichtlichen kulturtheologischen Unbedarftheit ihres Autors, allerdings Anlass zum Weiterdenken, Aufdröseln und Vertiefen bietet, hat sie ihren Zweck als fragmentarischste aller journalistischen Formen erfüllt.
Immerhin hat mich Mertin diesmal keinen „Altersrassisten“ geziehen. Nachdem wir wechselseitig in den Magazinen des jeweils anderen geschrieben haben (Mertin über die Tagespost in der Eule und ich über das Lesen im Netz in Tà katoptrizómena) und er sich im letzten Jahr in Nr. 126 seines Magazins ausführlich in mehreren Beiträgen mit einem Artikel von mir über „Christlichen Rassismus“ befasst hat, bleibt der unbedarften Beobachter:in wohl kaum etwas anderes übrig, als die ganze Affäre als eine publizistische Romanze zu begreifen. Ich sage dazu: „Ja, so wahr mir Gott helfe!“*
* Das ist ein Scherz. Im Übrigen bin ich gegen religiöse Eidesformeln.