Unter Heiden (6): Nun komm, der Heiden Heiland

O du fröhliche, o du selige, gnadenbringende Weihnachtszeit! Welt ging verloren, Christ ist geboren: Freue, freue dich, o Christenheit!‟ So werden es Millionen Menschen auch dieses Jahr wieder in den Gottesdiensten zum Heiligen Abend singen. Gegen den Anschein der Welt. Gnadenbringende Weihnachtszeit? Weihnachtsstress, Weihnachtsfrust und Streit. Welt ging verloren? Sieht es denn wirklich so bitter aus? Freue dich, o Christenheit?

Vom Himmel hoch da komm ich her
Wem gehört Weihnachten? Eine komische Frage, ich weiß. Schließlich hat ja niemand ein Patent auf Weihnachten angemeldet. Wie sollte das auch ausschauen, wird doch Weihnachten überall auf der Welt unterschiedlich gefeiert. Ein Urheberrecht an Weihnachten können sich die christlichen Kirchen hierzulande nicht einklagen. Auch das Christkind ist schließlich nicht Jesus Christus, sondern eine Erfindung des Protestantismus des 16. Jahrhunderts. Im 20. Jahrhundert ist der kommerzialisierte Weihnachtsmann mit Wucht zurückgekehrt und hat sowohl den katholischen Nikolaus als auch das evangelische Christkind kinderleicht an die Wand gespielt. Ich glaube deshalb genausowenig an das Christkind wie an den Weihnachtsmann.

Ist Weihnachten noch ein christliches Fest? Woran wollte man das festmachen? Es wird von viel mehr Menschen gefeiert als nur von Christen. Menschen anderen Bekenntnisses feiern es dort, wo Christen in der Mehrheit sind, irgendwie mit – wenngleich ohne den Kirchenbesuch. Gleiches gilt für die Konfessionslosen auch bei uns in Deutschland. Weihnachten ist mehr als nur Kirchenbesuch, Krippe und Adventkranz, sondern eben auch Familienfest, Geschenkefest und besinnliche Zeit – im Zweifel ganz ohne christlichen Bezug. Wenn schon christliches Urheberrecht an Weihnachten, dann eher im Sinne einer Creative Commons Lizenz, die die freie Nutzung, Bearbeitung und Verbreitung allen Menschen freistellt.

Es ist daher unsinnig, den abgefallenen Massen im Brustton historisch-moralischer Überlegenheit das wahre – weil christliche – Weihnachten nahezubringen. Was wir an vermeintlich alten christlichen Traditionen jedes Jahr zu Weihnachten feiern, ist zum großen Teil selbst Ergebnis solcher freien Aneignungsprozesse. Sei es der Adventskranz, der Termin oder von mir aus auch die ganze Geschichte mit der Inkarnation, auch die haben ja die Christen nicht erfunden.

Nun komm, der Heiden Heiland
Ich gebe es zu: Gerade unter Heiden beschleicht mich ab und zu der diabolische Wunsch, den Ungläubigen Weihnachten zu entziehen. Sie, statt zu Hause in ihren warmen Stuben ihre neuen iPads bewundernd speisen und trinken zu lassen, stattdessen auch an den christlichen Feiertagen zur Lohnarbeit zu zwingen. Denn bei aller Kritik am Festtrubel und am (vermeintlichen) Religionsstifter, wer wollte schon auf die Weihnachtsfeiertage oder die verlängerten Oster-, Himmelfahrts- und Pfingstwochenenden verzichten? Wer sich für Weihnachten – egal in welcher Form – nicht begeistern kann, der soll doch bitte einfach nicht mitfeiern.

Im Umkehrschluss erkären wir den Heiden bitte nicht mehr, wie man Weihnachten richtig feiern sollte. Die miesepetrische Kritik der christlichen Kirchen an der post-modernen weihnachtlichen Festkultur ist in den letzten Jahren zum Glück merklich zurückgegangen. Auf den Kanzeln wird am Heiligen Abend seltener geschimpft auf Kommerz und Verschwendungssucht, Moralverfall und darüber, dass die lieben Schäfchen außer zum Heiligen Abend sonst nicht in die Kirchen kommen. Der verstorbene Kabarettist Matthias Beltz sagte einmal sinngemäß:„Wer es richtig machen will mit der Kirche, der muss zu den protestantischen Kirchen gehen; nur die verbreiten selbst Weihnachten noch schlechte Laune.‟ Dort, wo man solcherlei Schmähungen immer noch erleben kann, wünschte ich mir mehr Leute, die einfach aufstehen und laut „Bullshit!‟ rufen.

Wie soll ich dich empfangen
Die deutschen Kirchen üben immernoch an einem entspannten Umgang mit der pluralen Fest- und Glaubenskultur. Zu leichtfertig liegt Einigen die (oberflächliche) Kritik an Einkaufsrummel, Spätkapitalismus und Reichtumsgeilheit auf der Zunge, als ob es sich dabei um weihnachtliche Verkündigung (s.u.) handeln würde. Weihnachten kommt in allen Größen und Formen. Und die Heilig-Abend-Predigt oder ein vernuscheltes Krippenspiel sind sicher nicht der Weisheit letzter Schluss, so dass man auf ihnen bis zum Untergang der Konfession beharren müsste.

Seit zehn Jahren feiern Heiden und Gläubige gemeinsam im Stadion von Union Berlin eine Weihnachtsfeier. Sie heißt Weihnachtssingen, und seit Jahren haben sich die Fans auch einen Pfarrer eingeladen, auf dass er die Weihnachtsgeschichte liest und ein paar Worte dazu sagt. Er legt Wert darauf, dass die Initiative dazu von den Fans ausging und nicht von der Kirche.

Für mich wird seit Jahren erst am Abend des 26. Dezember so richtig Weihnachten, wenn ich bei den Nine Lessons & Carols des Vokal Concert Dresden in der Loschwitzer Kirche bin, den englischen Lesungen und Liedern höre, selbst einstimme in O little town of Bethlehem, Hark! The Herald Angels sing und The first Nowell. Da quatscht keiner dazwischen, auch von der Kanzel nicht. Die Musik hat eine solche Qualität, dass man sich als regelmäßiger Kirchgänger nicht vor den Feiertagsbesuchern schämen muss, für die Kinder-Flötengruppe oder die altersschwache Kantorei. Unnötig auszuführen, dass in den drei Veranstaltungen am 26. & 27. Dezember die (wenn auch kleine) Kirche rappevoll ist; nicht nur mit Kerngemeinde.

Fröhliche Weihnacht überall
Die Konsequenz daraus kann nur sein, dass wir Weihnachten breiter machen müssen. Nicht größer, mancherorts vielleicht eher kleiner – aber breiter. So dass die Leut’ je nach eigenem Gusto etwas für sich finden. Nicht jeder mag Kartoffelsalat mit Wiener Würstchen (ich schon!) und Weihnachtsgans (ich schon!), sondern hätte lieber ein anderes Weihnachtsmenü. Es bedeutet, dass wir über die vielerlei Arten Weihnachten zu feiern, nicht die Nase rümpfen, sondern sie schmunzelnd betrachten und tatkräftig mitmachen. Wie toll wäre es, wenn es auch zu Weihnachten für junge Erwachsene, Alleinstehende, Musikverächter und Partypeople einen Ort in den Kirchen gäbe. Dafür müssen die Christen an der Feierkultur der Heiden partizipieren, von ihr lernen und sie schlussendlich transformieren – wie sie es seit 2000 Jahren gemacht haben. Weihnachten ist kein unveränderliches Fest, erst recht nicht in seiner kleinbürgerlichen Form, die seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland Hegemonialmacht hat. Weihnachten ist ein Heidenspaß!

Freut euch, ihr Heiden! Freuet euch sehr. Schon ist nahe der Herr.
Weihnachten ist nicht verloren, mag es sich für manch Traditionschristen auch so anfühlen. Und mögen Apologeten des „christlichen Abendlandes‟ seinen Untergang noch so sehr befürchten und herbeischreiben. Genauso ist diese Welt nicht verloren. Es gibt viel zu tun, klar; aber auch viel Gutes, für das ich (bei entsprechender Deutung meines Lebens) Gott dankbar sein kann. Ich will mir die Weihnachtszeit einmal zum Anlass nehmen, mit einer weitverbreiteten christlichen Übung aufzuhören: Ich möchte aufhören, so zu tun, als ob Gott mich verlassen hätte, nur weil ich ihn grad nicht spüre. Ich will aufhören, nach ihm zu quengeln, statt gewiss und gefasst meiner Pfade zu ziehen. Ein so verzagtes Häuflein, das immerzu ruft „Gott, wo bist Du?‟ und „Stärke uns den Glauben!‟, kann wohl kaum zum Feiern einladen. Sola gratia, schon klar. Aber eben auch sola fide. Das bisschen Glaubenstapferkeit sollten wir uns gegenseitig zumuten und es gerade in der Weihnachtszeit einmal vorzeigen. Seht her, ich freue mich, weil ich dazu Grund und Anlass habe!

O komm, o komm, du Morgenstern
Was ist dann die Weihnachtsbotschaft? Was wäre zu Weihnachten den Heiden und Traditionschristen, der Kerngemeinde und den Feiertagsbesuchern zu predigen, jenseits von Kulturkritik und Phrasendrescherei? Vielleicht, dass auch wir Christen Weihnachten und Jesus Christus nicht besitzen, sondern so wie die Heiden auf eine neue Wirklichkeit hoffen, auf die Erfüllung unserer Wünsche und alter Prophezeiungen. Eine neue Wirklichkeit, an der wir mitbauen wollen. Die darin angebrochen ist, dass wir behaupten, Gott habe diese Welt als sein Eigentum in Anspruch genommen und jedes Menschenleben für unendlich wertvoll erklärt, indem er selbst zu uns gekommen ist und noch kommen will. „Fröhlich soll mein Herze springen/ dieser Zeit, da vor Freud / alle Engel singen. / Hört, hört, wie mit vollen Chören / alle Luft laute ruft: / Christus ist geboren!‟


Einmal im Monat schreibe ich unter dem Titel Unter Heiden auf theologiestudierende.de über meine ostdeutsche Heimat. Etwas später erscheinen die Artikel hier auf meinem Blog. Es geht um Vorurteile, Lebenserfahrungen und Perspektiven. Es geht um Arbeit, Leben und Glauben.

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