Nicht dass es außerhalb der kleinen Binnenwelt der akademischen Theologie irgendjemanden interessiert, aber das Alte Testament steht mal wieder auf dem Spiel. Jedenfalls könnte man denken, dass es Prof. Notger Slenczka (Berlin) tatsächlich – wie es die F.A.Z. befürchtet – um die Abschaffung des Alten Testaments ginge. Wer sich die Mühe macht, Slenczkas Aufsatz „Die Kirche und das Alte Testament“ (immerhin 37 Seiten) zu lesen, dem wird zumindest aufgehen, dass sich sein Anliegen wohl kaum auf eine noch so griffige Schlagzeile herunterbrechen lässt.
Eine Zusammenfassung der Geschehnisse hat Heye auf theologiestudierende.de verfasst.
Das Unwohlsein der Studierenden im Angesicht eiliger Verurteilungen, wie von Bischof Markus Dröge, der Begleichung alter Rechnungen unter Kollegen und der Verunmöglichung echten akademischen Disputs jedenfalls ist nachvollziehbar. Wo, wenn nicht an den Theologischen Fakultäten, die ja keinesfalls die Vorhut kirchlichen Lehramts bilden, sollte jedes – also auch dieses – theologische Problem diskutiert werden? Und ist nicht die Universität als Ort des gemeinsamen Lernens auch der Öffentlichkeit zumindest aller ihrer Mitglieder verpflichtet und agiert zumindest einmal feige, wenn derartige Fragestellungen durch offene Briefe und Fakultätsratsschieberei „gelöst“ werden?
Wenn sich außer einigen wenigen Universitätstheologen schon niemand für das Sujet interessiert, woher kommt dann die Angst vor einer öffentlichen Disputation? Könnte eine solche nicht nur Licht in den Dschungel gegenseitiger Beschuldigungen und Missverständnisse bringen, sondern auch der interessierten Öffentlichkeit – gibt es die? – überhaupt mal wieder eine Kostprobe theologischen Ringens geben? Ist nicht der Streit, die Uneinigkeit, der Protest konstitutiv für evangelische Theologie?
Durch eine konsequente Ver-Öffentlichung des theologischen Streits könnte sich die evangelische Theologie unter aufmerksamen Zeitgenossen eine interessierte Öffentlichkeit erst schaffen, unter deren Fernbleiben ja gerade die selbstbewussteren Professores sichtbar leiden. Allein, im Disput und in der Öffentlichkeit zählt einzig das theologische Argument und vielleicht noch die Eleganz der Gedankenführung, fehl am Platz sind anderweitig motivierte Anwürfe. Sollten tatsächlich fachfremde Motivationen maßgeblich für das Vorgehen der Beteiligten sein?
Die Berliner Kommilitonen fordern die Disputation. Ich wünsche mir mehr Streit um die wichtigen Themen in Kirche und Gesellschaft und erst recht an den Theologischen Fakultäten, die doch das Banner der redlichen Wissenschaft so selbstbewusst vor sich her tragen.
Ergänzung 2. Mai: Christopher hat auf theologiestudierende.de die Argumentation Slenczkas in eigenen Worten und verständlich zusammengefasst. Unter diesem Artikel entwickelt sich seit ein paar Tagen eine interessante und recht niveauvolle Diskussion – jedenfalls ist sie 10 x besser als die Kommentare bei der F.A.Z.. Eine Sache hat mich in den letzten Tagen besonders gestört, deshalb habe ich sie dort in die Diskussion eingebracht und füge sie jetzt auch hier an. Wer einen guten Überblick über die Debatte erhalten will, findet bei der Christ & Welt eine gute Einführung.
Kommentar: „Kein Jesus Christus im AT“
Ich bin erschrocken darüber, wie viele Theologen in den letzten Tagen aus vermeintlicher Wertschätzung gegenüber dem AT und dem Judentum wieder anfangen / weiter damit machen, das AT christologisch auszulegen. Dabei handelt es sich um eine wissenschaftlich nicht haltbare Übung, die sich gerade im Hinblick auf den jüdisch-christlichen Dialog verbietet. Ich finde es erstaunlich, dass gerade Slenczkas Gegner sich einer solchen Argumentation bedienen.
Slenczka hat Recht damit und ist bei weitem ja nicht der Einzige der so denkt, dass das AT unmöglich Jesus Christus verkündigt und wir es entstellen, wenn wir es einfach so „christlich“ zurechtbiegen. Das AT ist eine Sammlung jüdischer Bücher, Christen haben sie nur geliehen. Das ist in Ordnung: In sofern als dass ich Christophers Gedanken vom „gemeinsamen Text“ recht unzureichend finde. Texte sind immmer auslegungsbedürftig, im Sinne einer verbindlichen Lesart haben „wir“ sie also nie „gemeinsam“, jedenfalls dann und im besonderen nicht, wenn kein Lehramt über die genaue Auslegung wacht. Die Abwesenheit eines solchen verbindlichen Lehramts halte ich nun gerade für den Stolz sowohl des Judentums als auch des Protestantismus.
Man wird im AT schon mehr entdecken müssen als Jesus Christus, um es als Schriftensammlung „heilig“ halten zu können. Nach uraltem protestantischen Denken, hieße das zum Beispiel, dass auch das AT als Medium der Glaubensstiftung dient, also seine Geschichten Teil der Selbstoffenbarung Gottes sind.
Kommentare
2 Antworten zu „Mehr Streit, bitte! + Kein Jesus Christus im AT“
Ich möchte nicht müde werden zu betonen, dass längst nicht alle Kommiliton_innen eine Disputation wünschen, sondern eine Mehrheit, die sich während einer Vollversammlung unter etwa 90 Studierenden gebildet hat.
Danke für den Hinweis.