Unter Heiden (11): Atemlos durch die Nacht

Pegida, überall Pegida. Und ich komme gar nicht dran vorbei, so sehr ich mich auch bemühe. Alle Welt kennt nur ein Thema, haben wir es damit nicht auch übertrieben? Wenn ich mich dann wieder mit Pegida beschäftige, fällt es mir schwer, außer Kopfschütteln noch etwas anderes rauszubringen: einen klugen Gedanken oder vielleicht eine Idee davon, wie das wohl weiter oder zu Ende gehen könnte. Oder erledigt sich das von selbst?

Dann bin ich vom Nachdenken wieder müde und die Woche ist wieder herum und wieder gibt es neue Artikel, neue Zahlen und Eindrücke und es geht von Neuem los. Pegida raubt mir den Atem. Nicht nur mir, sondern vielen Menschen, allzumal in Ostdeutschland. Ich bin atemlos und die Heiden sind es auch.

Wir zieh’n durch die Straßen und die Clubs dieser Stadt

Es gibt andere Hymnen für Pegida, den „Lügenpresse“-Chor zum Beispiel aus der immer wieder in Mode kommenden „Anti-Establishment“-Oper, aber ich will es heute einmal mit Helene Fischers „Atemlos durch die Nacht“ versuchen. Ich werde ihre Worte verdrehen und wenden, bis sie mir den Sinn ergeben, den ich als Gerüst für diesen Text hier brauche. Denn von irgendwoher muss ja ein Kontext geschaffen werden, eine Geschichte im Rahmen bleiben, dann kann es ebenso gut dieser Techno-Schlager sein, der zwischen Rhön und Seenplatte auf jeder Feier gespielt wird.

Sie ziehen durch die Straßen meiner Heimatstadt. Geliebtes Dresden, Sorgen machst Du mir! Doch nicht nur auf den Straßen ist Bewegung: In den Häusern, auf den Arbeitsstellen und in den Kirchgemeinden ist Zunder drin. Niemand will falsch verstanden werden, deshalb die „Ich bin ja kein Was-auch-immer, aber …“-Sätze. Auf den Straßen und in den Gesprächen bricht etwas auf, das schon länger gegen die Druckventile unserer Gesellschaft drückte und jetzt laut zischend entweicht.

Das ist uns’re Nacht, wie für uns beide gemacht, oho oho
Du, mein geliebter Pegidist, gehst da raus in die Kälte des winterlichen Dresdens, warum? Ich kann es mir denken, weil Du es uns sagst und weil ich dich kenne. Ich komme aus der gleichen Stadt wie Du. Ich habe die Elbe im Sommer gerochen, als ich mit meinen Freunden an ihren Ufern saß. Ich bin in deine Schulen und deine Kirchgemeinden gegangen. Ich habe deine Theater, deine Operetten und Friedensgebete besucht. Ich habe die gleichen Zeitungen wie Du gelesen und das gleiche Radio wie Du gehört. Ich kenne Dich, wenn Du auch älter bist als ich.

Ich kenne Dich, weil Du es warst, der sich über die lärmenden Kinder aufgeregt hat, die zwischen den DDR-Garagen bolzten. Ich kenne Dich, weil Du zu den Jugendlichen gehörtest, die ihre Unsicherheit mit Muskelpaketen kaschierten und auf die Kleinen droschen. Ich kenne Dich, weil an den Spieltagen dein Gebrüll tausendfach verstärkt bis an das Elbufer drang. Ich kenne Dich, weil Du an deinen Spieltagen und besonders am 13. Februar meine Stadt in ein Kriegsgebiet verwandelst, in dem man sich fürchten muss.

Ich kenne Dich von den Gesprächen im Biergarten unter den Lindenbäumen und der Sommersonne, deine Parolen sind mir nicht neu. Ich kenne auch dich, Du alter Freiheitskämpfer, der Du vom neuen Deutschland genauso enttäuscht bist wie von dem alten, das Du wenigstens noch kanntest. Und ich kenne Dich, Du Konservativer, weil Du hier die Mehrheit stellst – nicht erst seit Heute oder Gestern, sondern schon seitdem ich denken kann.

Was fürchtest Du? Du glaubst, du wirst verarscht. Von denen da oben, die dir nicht die Wahrheit sagen. Ist dir das schon einmal passiert? In der DDR vielleicht, an die Du dich noch erinnerst, auch daran, dass es Leute wie Du waren, die sie ganz am Ende endgültig zu Fall brachten? Oder liegt es daran, dass sie für Dich niemals etwas getan haben? Dass Du dir, was Du hast – deine Lehrstelle, deinen Arbeitsplatz, dein Häuschen, deinen Schrebergarten – hast ganz alleine gegen die da oben erkämpfen müssen? Was sie für dich übrig hatten war Schikane auf dem Amt und auf der Bank und weil Dir niemand vertraute, vertraust auch Du niemanden mehr. Warst Du wirklich so allein?

Du hast Angst, dass andere geschenkt bekommen, was Du dir hast erkämpfen müssen. Was Du dir verdient hast, dass wird jetzt verschleudert: Wohlstand und die kostbare Freiheit. Das alles steht für Dich auf dem Spiel. Ich weiß, Du machst das nicht aus Trotz, sondern weil Du Sorgen hast.

Ich schließe meine Augen, lösche jedes Tabu
Aber warum gehst Du dann mit den Glatzen und Hetzern? Was hat dich so erblinden lassen, dass Du nicht merkst, dass Du nur wieder zu einer Spielfigur geworden bist? Gespielt wird Monopoly: Für jede Straße über die Du ziehst, zahlst Du einen hohen Preis. Hörst Du deinen Anführern überhaupt zu? Interessiert Dich, was sie zu sagen haben? Du bist vielleicht kein Nazi, das rechtsextreme Zeug in deinem Kopf nur ein Symptom für deine Unzufriedenheit und keine innerste Überzeugung, aber schämst Du dich denn nicht, dem Hass hinterherzulaufen?

Ich bin in Dresden zur Schule gegangen. Bei uns gibt es die besten Gymnasien des Landes. Ich habe auch von Dir gelernt, wo wir uns begegnet sind. Ich weiß, wer sich die letzten zehn Jahre in unserem Landtag und in unserer Sächsischen Schweiz den Rassisten-Arsch breitgesessen hat. Ich kenne die Gesichter derer, die seit der Wende hier von Nazis verprügelt, erniedrigt und ermordert wurden. Ich habe mir die Geschichte unserer Stadt angeschaut. Ich weiß, wohin Hass führt. Kannst Du dich daran noch erinnern?

Vielleicht ist es ja auch unser Dresdner Umgang mit Schuld und Zerstörung, der in dir den Gedanken wachsen ließ, dass Du ein Opfer bist? Dresden war und ist Residenzstadt, hier lässt man sich lieber gemütlich beherrschen. Und wenn der Dresdner aufsteht, dann zögerlich und gerade rechtzeitig. Wir Dresdner warten gerne auf den Märchenprinzen und wenn er so lange auf sich warten lässt, dauert es immer noch eine Weile, bis wir es kapieren: Der Märchenprinz aber bist Du!

Ich weiß, Du denkst, jetzt wäre deine Zeit gekommen. Aber es ist die Zeit gekommen, in der Du dich nicht mehr in der Menge verstecken kannst. Wer Rechtsextremen, Schlägern und Nazis hinterherläuft, genießt hier keinen Welpenschutz mehr, sei er noch so besorgt. Schau Dich um, mit wem Du dich da eingelassen hast. Sind sie dir klug genug? Gibst Du ihnen Recht? Wenn ja, dann verschwinde nur wieder in der Menge, in der Du dich sicher fühlst und jage uns nur weiter einen Schrecken ein, wenn Du da im Elbflorenz deine Hetze in den Himmel brüllst, dass sich die Asylanten fürchten müssen. Wir haben uns nichts mehr zu sagen.

Wenn nein, dann komm da jetzt weg. Geh lieber mit Onkel Richter plauschen. Tritt in eine Partei ein, von mir aus auch in die AfD. Die CDU will dich ja auch wieder haben, Stanislaw spurtet dir schon hinterher (Frau Merkel, gehören die auch zu ihrer CDU?). Kümmer Dich wirklich um dieses Land. Lass Dich wählen, geh auf Diskussionen, schreibe Leserbriefe und von mir aus Kommentare in dieses Internet, aber geh nicht mit den Hetzern. Du machst Dich lächerlich.

Was das zwischen uns auch ist, Bilder die man nie vergisst
Du hast mir einen gewaltigen Schrecken eingejagt, als ich dich mit dem Schwarz-Rot-Goldenen Kreuz auf dem Theaterplatz stehen sah. Du hast mir mehr als nur ein Schulterzucken abgenötigt, als Du Journalisten und Jugendliche anspucktest und verprügelt hast. Du hast dir meinen Zorn zugezogen, als Du Asylanten in deinen Streit für dein Abendland hineingezogen hast. Das wird nicht einfach wieder gut.

Ich weiß, Du willst, dass wir alle ein bisschen mehr auf die Moslems achten. Ich weiß, Du hast Angst, dass alles was dir heilig ist, mit Füßen getreten wird: Deine Ehe, deine Arbeit, dein Land, deine Geschichte. Ich weiß das alles. Aber die Worte, die Du in den Mund nimmst und das Zeug, das Du mit dir herumträgst, das kann ich dir nicht vergessen.

Ich will versuchen, es Dir zu vergeben. Obwohl ich dafür vielleicht der Falsche bin. Bin ich Flüchtling oder Schwul? Muss ich mich auf den Straßen meiner Heimatstadt fürchten? Habe ich Angst vor Dir? Nein.

Und dein Blick hat mir gezeigt, das ist uns’re Zeit
Dir gefällt dieses Deutschland nicht oder das, was aus ihm werden könnte. Das gestehe ich Dir zu, auch wenn ich deine Befürchtungen nicht teile. Und mir gefällt dein Abendland nicht. Ein Abendland, das deutsch ist und zwar nicht dem Pass, sondern der Abstammung nach. Ein Abendland, das Deutsche, die vor kurzer oder längerer Zeit aus anderen Ländern und Kulturen zu uns in dieses Land gekommen sind, ausschließt. Das Menschen ausschließt, die nicht deutsch denken, deutsch lieben und deutsch glauben.

Dein Blick auf unsere Gesellschaft hat mir gezeigt, dass es Zeit ist. Zeit für meine Generation, Euch das Heft des Handelns aus der Hand zu nehmen. Behaltet Eure Kerzen, eure Montagabende und von mir aus auch eure Weihnachtslieder. Macht damit was ihr wollt. Sie gehören mir genauso wenig wie Euch. Wenn ihr sie beschmutzt, dann verletzt ihr nicht mich, ihr verratet höchstens Eure eigene Geschichte. Ruft ruhig weiter „Wir sind das Volk!“. Ich und viele andere sind Volker.

Du wirst nicht weggehen, ich weiß. Auch wenn sich Pegida spaltet und vielleicht schon bald nicht mehr auf den Straßen marschiert. Was Du repräsentierst, das bleibt. Wähl doch AfD, dann kehrt in Deutschland nur einfach ein bisschen mehr europäische Normalität ein. Warum auch sollte es in Deutschland keine rechtspopulistische Partei geben? Aber verlange nicht von mir, dass ich dich dafür lobe.

Du kannst auch weiter jeden Montag auf die Straße gehen, wenn Du dafür Freizeit übrig hast. Du darfst dich beschweren und brüllen. Das ist deine Freiheit. Ich gönn sie dir. Du darfst auch den Marsch durch die Institutionen und in das wahre Leben der Menschen versuchen. Und genau dort werden wir Dich bekämpfen.

Atemlos durch die Nacht, bis ein neuer Tag erwacht
Du brüllst am Montagabend, aber sieben Tage die Woche, 24 Stunden am Tag, lieben wir, wie es uns passt, beten wir, zu wem wir wollen, kämpfen wir für unser Morgenland. Du willst Streit, Du sollst ihn bekommen. An jedem Geburtstagskaffeetisch, zu jeder Vereinssitzung und jedem Kirchenabend werden wir Dir widersprechen. Wir werden Dich zum Gespräch zwingen, Du hast es so gewollt.

Du hättest schweigen können. Ich habe auch gedacht, dass Du unser Land und seine Zukunft gut findest. Vielleicht habe ich dich einfach nur zu lange ignoriert und nicht wahr haben wollen, dass Du nicht so weit bist. Aber jetzt wo Du lärmst, wirst Du mir nicht weiter ausweichen können. Wir werden dich bedrängen, mit Argumenten, mit Fakten, mit unserem guten Willen.

Ihr gehört zu Deutschland und zu Sachsen. Das lässt sich nicht leugnen. Und ja, ihr gehört auch zu meiner Heimat Dresden. Das tut weh. Aber die Moslems, die Schwulen und Lesben, die syrischen Flüchtlingsfamilien und äthiopischen Asylanten und ich, wir gehören zu eurem Abendland. Kommt darauf mal klar.

Geh nicht so schnell weg, mein geliebter Pegidist, denn an dir schärfen wir unsere Vorstellung von einem besseren Deutschland. Du hast mir einen gewaltigen Schrecken eingejagt und Du machst mich atemlos. Aber wir finden gerade unsere Stimme und sie wird im Elbtal noch zu hören sein, wenn deine Schmährufe längst verklungen sind.


Einmal im Monat schreibe ich unter dem Titel Unter Heiden auf theologiestudierende.de über meine ostdeutsche Heimat. Etwas später erscheinen die Artikel hier auf meinem Blog. Es geht um Vorurteile, Lebenserfahrungen und Perspektiven. Es geht um Arbeit, Leben und Glauben.