Die Adventszeit hat begonnen und damit auch für den konsumkritischsten Theologiestudenten die Zeit der Naschereien und Festgelage. Tausende Sorten Kekse und Stollen und gebrannte Mandeln und alles was das Herz begehrt gibt es jetzt wieder im Überschwang. Natürlich auch die berüchtigten Weihnachtsmänner und Lebkuchen, die ja schon seit September ihrer Vernichtung harren. Ich für meinen Teil habe damit überhaupt kein Problem. Das heißt, ein Problem habe ich schon, ein Gewichtsproblem. Da geht es mir so wie unserer Kirche.
„Haben Sie Rücklagen gebildet?“ „Ja, 5 kg.“
— Lisa Blue (@lisablueair) 5. Dezember 2014
Zu Beginn meines Studiums wog ich knapp 15 Kilogramm weniger als heute. Sicher, das meiste davon habe ich mir nicht durch meine Schadlosigkeit an Stollen und Weihnachtsgans angefressen. Ich bin außerdem auch keine 19 Jahre mehr jung und mit dem Alter sammeln sich die Pfunde von ganz alleine an. Jüngeren Freunden prophezeie ich gerne: „Warte nur ab, Du wirst schon auch noch fett!“
Bin ich also vom gängigen Schönheitsideal fremdgesteuert, dass ich mich immer wieder auf die Höllenmaschine quäle? Sport gehörte immer zu meinem Leben dazu, vor allem Fußball. In den letzten Jahren aber treibe ich Sport häufig nur noch der allgemeinen Fitness wegen. Deshalb habe ich mir im Herbst 2013 die Höllenmaschine zugelegt. Ich dachte, es wäre doch wirklich bequemer, zuhause im Wohnzimmer zu sporteln, vielleicht eine Episode einer Serie dabei zu schauen, als mich bei winterlicher Kälte durch die Dunkelheit der Saaleauen zu quälen.
Umso mehr beeindrucken mich die jungen Männer unter uns, die einen erheblichen Teil ihrer Zeit für die körperliche Ertüchtigung aufwenden. Ich folge da ja gerne dem Diktum, dass ab Mitte Zwanzig die inneren Werte ohnehin im Vordergrund stehen sollten. „Wahre Schönheit kommt von Innen, da kann man jederzeit mit beginnen“, so oder so ähnlich singt es Rainald Grebe.
Und dann sehe ich Nadia Bolz-Weber auf dem Cover des Sojourners-Magazin. Mal abgesehen von ihrem besonderen Stil, der ihre Verkündigung prägt und so erfolgreich macht, ist sie auffallend „fit“. Daraus macht sie auch kein Geheimnis, ja, für sie ist körperliche Fitness ein wichtiger Baustein ihres erfolgreichen (Arbeits-)Lebens. Extensiver Sport macht sie glücklich und hilft ihr dabei, auch in anderen Bereichen Hochleistung zu bringen.
Nadia Bolz-Weber widerspricht auch damit dem gängigen Bild, das wir uns von Pfarrernden machen. Da schwebt doch den meisten eher der von Ottfried Fischer verkörperte Pfarrer Braun vor. In jüngster Zeit wird dieses altertümliche und man kann sagen bequem vergnügliche Bild vom Pfarrer, der den Genüssen des Lebens ganz offensichtlich nicht abgeneigt ist, auch hierzulande in Frage gestellt. Und zwar vom ZDF zur besten Sendezeit am Samstagabend: Herzensbrecher – Vater von vier Söhnen:
Ein äußerst attraktiver alleinerziehender Vater von vier Söhnen (die zugehörige Mutter musste – wie beim ZDF allgemein üblich – bereits vor Serienstart das Zeitliche segnen) bestreitet in der Serie den Alltag im Pfarrhaus. Das ZDF bringt mit dieser Serie das evangelische Pfarrhaus ins 21. Jahrhundert, dem gegenüber nehmen sich die theologischen Diskussionen über dessen Zukunft tatsächlich wie Turnübungen aus.
Die mediale Realität und ihre augenscheinliche Wertschätzung beim Publikum haben unsere Binnendiskussion längst überholt. Dienen die Auseinandersetzungen unter den Kirchenleuten allein der Gewichtskontrolle, geht die Fernsehserie weiter: nicht nur bei der ästhetischen Präsentation. Denn genauso wie Nadia Bolz-Weber ist auch Pfarrer Andreas Tabarius (klingt doch herrlich protestantisch, oder?) erfreulich häufig mit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens befasst.
Das heißt: Wie leben die Menschen, die zu uns kommen? Wie begegne ich diesen Menschen überhaupt? Was beschäftigt sie: Familie, Sex, Arbeit, Selbstverwirklichung, Mode, Medien? Für all diese Bereiche bedarf es „moderner“ Antworten. Nein, eigentlich bedarf es überhaupt keiner „Antworten“, sondern vielmehr vorbehaltlosen Mitlebens, echter Zeitgenossenschaft.
Dieser Artikel erschien am 1. Dezember 2014 als Teil der wöchentlichen Kolumne „Moment mal“ auf theologiestudierende.de .