Am Wochenende traf sich die Bundesarbeitsgemeinschaft „Kirche und Rechtsextremismus“ in Mainz. Die katholische Theologin Sonja Strube machte zu Beginn der Tagung darauf aufmerksam, dass rechtsextreme Kräfte sich intensiv um Einfluss in kirchlichen Kreisen bemühen. Berührungspunkte zwischen rechten und konservativen christlichen Kreisen gebe es beispielsweise bei Themen wie Christenverfolgung und in der Befürwortung traditioneller Familienbilder. Vor allem manche christlichen Medien schlagen Strube zufolge „eine Brücke nach rechts“. (Pressemitteilung der epd)
Als Beispiel sei an dieser Stelle die bereits in der Pressemitteilung erwähnte Website kreuz.net genannt. Aber es gibt weit größere Gemeinsamkeiten, kreuz.net war nur die Spitze des Eisbergs. Elemente rechtsextremer Weltanschauung finden sich in vielen Texten wieder, die auf christlichen Nachrichtenseiten und Blogs erscheinen. Und – so kann vermutet werden – spielen auch im analogen Zusammenleben mancher Gemeinde oder Organisation eine Rolle.
Nach Samuel Salzborn (Rechtsextremismus, 2014, Nomos/UTB, Rezension hier) gehören zum Rechtsextremismus spezifische Einstellungen und Verhaltensweisen. Unter Einstellungen nennt er beispielsweise: Völkisches Denken, Biologismus/Kulturalismus, Rassismus, Autoritarismus, Homogenitätsdenken, Sexismus, Elitismus, Antirationalismus und Antisemitismus.
Die Journalistin Oda Lambrecht beschrieb schon auf dem Kirchentag in Dresden 2011 Merkmale, die insbesondere evangelikale Gruppierungen miteinander verbänden: „eine strenge Bibelgläubigkeit, die Abwehr liberaler theologischer Positionen, eine Einteilung der Welt in „Gut und Böse“ sowie eine Ablehnung anderer Religionen und naturwissenschaftlicher Erkenntnisse.“ Es fällt leicht, die unterschiedlichen Begriffe einander zuzuordnen. Genauso wie es nicht schwer fällt, „traditionelle“ christliche Topoi bestimmten rechtsextremen Einstellungen zuzuordnen.
Beispiel: Judenmission
Die Kritik am jüdischen Glauben, die Befürwortung der Judenmission, wie sie immer wieder aus evangelikalen Kreisen vorgetragen wird, kann zweifelsohne antisemitische Anklänge haben, ganz sicher ist sie aber von einem elitären Denken (wahres Israel) geprägt. Zwar hat sich die Evangelische Kirche in Deutschland über die Jahre durch viele Erklärungen hindurch ein differenziertes und man kann sagen liberales Bild vom Zusammenleben mit dem Judentum erarbeitet, doch trifft das augenscheinlich nicht auf alle mit der EKD assoziierten Organisationen zu. Die Zusammenarbeit mit der Evangelischen Allianz z.B. wird ungebrochen fortgeführt.
Dabei wäre es an der Evangelischen Allianz gelegen, eindeutigen Verirrungen in ihren Kreisen entgegen zu treten. Gleichwohl scheint ihr vor allem das eigene Schriftverständnis dabei im Wege zu stehen. Ich glaube, dass das Verteten der Judenmission immer noch nicht durchgängig als rechtsextrem angesehen wird, sondern als biblisch legitim. Nur so ist es zu erklären, dass immer wieder auch große Player wie Idea sich dem Thema recht einseitig widmen. Bände sprechen vor allem Kommentare wie diese, die unter eine simple Agenturmeldung gepostet werden (und dort auch stehen bleiben dürfen).
Da bringt es auch nichts, sich bei Gelegenheit hinter den messianischen Juden zu verstecken. (Mehr dazu hier.) Es sind doch wieder patentierte Christen, die es nicht gecheckt haben. In Sachsen war das vor allem der Jugendevangelist Lutz Scheufler, der meinte, dass wenn messianische Juden vom Kirchentag ausgeschlossen seien, auch der Apostel Paulus wohl kaum willkommen wäre. Man muss die Chuzpe seiner Bibelinterpretation durchaus bewundern, selten wurde mit dem Evangelium so ahistorisch umgegangen.
Das eigentliche Problem hatte die Landeskirche aber wohl nicht mit seiner kruden Theologie, die eindeutig am rechten Rand fischt, sondern damit, dass er im Rahmen des Protestes gegen das neue Pfarrerdienstgesetz der Kirchenleitung die Gefolgschaft aufkündigte. Dieser Vorfall gereichte der Sächsischen Landeskirche nun aber endlich dazu, dass Anstellungsverhältnis mit Scheufler zu lösen. In Sachsen erhob sich rund um diesen „Skandal“ viel Ärger. Kein Zufall, denn in Sachsen verbändelt sich schon seit Jahren frömmelndes Christentum und rechtsextreme politische Initiativen.
Diese Leute mögen sich wohl für Wertkonservative halten oder für bibeltreue Christen, es sind doch wohl eher Rechtsextreme, die ihre Legitimation und Argumente aus der heiligen Schrift beziehen. Braune Soße bleibt braune Soße, auch wenn man über ihr ein Tischgebet hält.
Beispiel: Homosexualität
Bei der Diskussion um das neue Pfarrerdienstgesetz (s.o.), bei den Debatten um den Bildungsplan in Baden-Württemberg (#idpet, siehe hier), bei ProChrist (siehe hier) und anderen evangelikalen Initiativen spielt die Ablehnung von Homosexuellen und Schwulenhass mit christlicher Grundierung eine wichtige Rolle. Auch hier wird die heilige Schrift als Deckmäntelchen rechtsextremer Einstellungen missbraucht. Und bis heute übernehmen bekannte Politiker und Kirchenleute (EKD) Schirmherrschaften für solche Gruppierungen.
Beispiel: Islamfeindlichkeit
In jüngster Zeit spielt für viele christliche Rechtsextreme vor allem die Auseinandersetzung mit dem Islam eine größere Rolle. Hier vermischen sich althergebrachte Muster (s. Judenmission) mit der irrationalen Angst, vom Islam überrannt zu werden. Auch spielt hier ein weiteres Thema eine Rolle, das evangelikale Christen sehr ernst nehmen: die Christenverfolgung in islamischen Ländern. Die findet unzweifelhaft statt, sollte aber nicht als Begründung herhalten, muslimischen Bürgern und Flüchtlingen hierzulande die Religionsfreiheit abzusprechen.
Die Toleranz gegenüber anderen Religionen ist erschreckend gering ausgeprägt und auch hier widerspricht sich die EKD selbst. Zwar ruft ihr Führungspersonal (zuletzt Nikolaus Schneider) dazu auf, mit Moslems und Juden gleichermaßen solidarisch zu sein. Doch die EKD selbst distanziert sich nicht von Einzelpersonen und Gruppierungen, die genau entgegengesetzte Meinungen vertreten. Das gilt sowohl von Kirchenmitarbeitern und Kirchenvorständen, als auch von Werken und Initiativen aus dem evangelikalen Spektrum, die auf die ein oder andere Weise mit der EKD zusammenarbeiten.
Gegen die rechtsextremen Einstellungen innerhalb der Kirche zu Felde zu ziehen bedeutet, weiterhin öffentlich Widerspruch einzulegen, die religiöse Bildung in Schulen und Gemeinden zu forcieren und sich von mancher bequemen Kooperation zu verabschieden, auch wenn man damit Gefahr läuft, die Evangelikalen zu vergrätzen.
Verhalten
Denn es geht nicht nur um die rechtsextremen Einstellungen. Nach Salzborn gehören zum Gesamtbild rechtsextremer Weltanschaung auch spezifische Verhaltensweisen: Protest/Provokation, Wahlverhalten, Mitgliedschaft, Gewalt, Terrorismus.
Christlich motivierter Protest gegen Ausländer, Moslems, Juden und Homosexuelle findet inzwischen ganz offen auf unseren Straßen statt. Da braucht man nur Transparente auf den „neuen“ Montagsdemos, der Demonstrationen gegen die Bildungsplanreform in Ba-Wü, bei den #Pegida-Demos in Dresden und den #Hogesa-Aufmärschen zu lesen. Wieviele patentierte Christen laufen da eigentlich mit? Rechtsextreme christliche Provokation sind auch die Kommentare unter zahlreichen Nachrichtenartikeln und auf vielen christlichen Blogs (besonders die kath. Blogwelt leidet unter diesem Phänomen).
Was Christen wählen, sollte ihnen nicht von ihren Kirchen vorgeschrieben werden. Aber ihr Glaube sollte ihr Wahlentscheidung doch eindeutig informieren. D.h. für mich, eine Wahl rechtsextremer Parteien kommt nicht in Frage. Was würde eine Umfrage unter Christen hierzulande diesbezüglich ergeben? Auch gibt es in christlichen Gemeinden wohl Mitglieder rechtsextremer Vereine und Parteien, wie sieht unser Umgang mit ihnen zwischen geschwisterlicher Liebe und Ablehnung ihrer politischen Einstellung aus?
Vor Gewalt schrecken rechtsextreme Christen vermeintlich zurück. Doch was bedeuten Abschiebe-Aufforderungen für Flüchtlinge? Was bedeuten hasserfüllte Kommentare für Schwule und Lesben in oder außerhalb der Kirche? Was bedeutet es für Juden und Moslems, wenn Christen hierzulande ganz offen ihren Ressentiments fröhnen?
Es scheint, dass die christlichen Kirchen hier erstmal vor ihrer eigenen Tür kehren müssen. Gut, dass sich u.a. deshalb vierzig kirchliche und gesellschaftliche Gruppen in der Bundesarbeitsgemeinschaft „Kirche und Rechtsextremismus“ zusammengeschlossen haben. Wir brauchen den Input aus der Gesellschaft, von LGBT-Aktivisten, Antifaschisten und Bürgerrechtlern. Auch um den Blick auf uns Christen selbst zu klären.
Update 3.12.2014:
Mein Kollege von theologiestudierende.de Max Melzer hat auf seinem Blog weitergedacht: „Braune Soße bleibt braune Soße“, moehrenzahn.de.
Kommentare
Eine Antwort zu „Rechtsextreme Kirche?!“
zum Beispiel Judenmission
Judenmission geht wirklich nicht – und das nicht erst seit Auschwitz. Immerhin beginnt der Antisemitismus als Antijudaismus bereits im Neues Testament. Doch warum christliche Mission durch Juden, „Messianische Juden“, ungehörig sein soll und auf Kirchentagen nicht zugelassen, will mir nicht in den Kopf, auch nicht in die dortige Theologieabteilung. Meiner Psychologieabteilung fallen allerdings ein paar Hypothesen ein.
Für schwerer wiegend halte ich Gedanken, wie sie Stefan Meißner 2014 im Pfarrerblatt ausbreiten durfte: „Bemerkungen zur Orientierungshilfe der EKD »Gelobtes Land?«. Er knüpft an die alttestamentliche Landnahme als Erfüllung der Verheißung Gottes an Israel an.
Zwar konzediert er, „daß die Texte von Landverheißung und Landnahme eine »Auslegung geschichtlicher Erfahrungen im Rückblick« enthalten. Doch muss das nicht als Relativierung des biblischen Zeugnisses verstanden werden. Geht es in der Bibel doch nie um bruta facta, sondern stets um gedeutete Geschichte. Durch die theologische Durchdringung der historischen Ereignisse werden diese erst bedeutsam für Menschen, die einem anderen zeitlichen oder kulturellen Kontext angehören“. Meißner schlussfolgert: „Wenn es also grundsätzlich legitim ist, Geschichte rückblickend theologisch zu deuten, dann fragt man sich, warum sich die EKD auch 60 Jahre nach der Staatsgründung Israels noch immer ziert, hier von einem Handeln Gottes zu sprechen“.
Uns ist überliefert, daß „die Kinder Israels“ bei der ersten Landnahme in Blut gewatet haben und dies als Befehl Gottes verstanden. So das Narrativ, das meines Wissens mit diesen Passagen nicht in unsere Perikopenreihe eingegangen ist. Von der neuen Landnahme wissen wir inzwischen, daß sie nicht nur Reaktion auf den arabischen Angriff war, auf den sich die Israelis sorgfältig vorbereitet hatten , sondern daß im Kriegsablauf die Israelis mit Terrormaßnahmen die Araber vertrieben haben, wie es Ilan Pappe beschreibt + . Wie dem im Detail auch gewesen sein mag: Hier das Narrativ von Gottes Handeln an Israel fortschreiben zu sollen, erscheint mir doch sehr problematisch. Das hat nichts damit zu tun, daß wir Christen allgemein, nicht nur wir Deutsche, ein besonderes Verhältnis zu Israel zu pflegen haben. Erst wurde dem jüdischen Volk die Übernahme der Verantwortung für den Tod Jesu in den Mund gelegt, „das ganze Volk sprach: Sein Blut komme über uns und unsere Kinder“ und dann die grausige Verwirklichung über Jahrhunderte hinweg bis zum Holocaust veranstaltet. Doch das rechtfertigt nicht die theologische Untermauerung der neuen Landnahme.
Diese theologischen Träumereien halte ich für problematischer, als wenn einige Juden Jesus für den Messias halten.
die fußnoten wurden nicht mit übernommen. hier sind sie:
http://www.pfarrerverband.de/print/artikel.php?id=3397
TEDDY KOLLEK, Jerusalem und ich, Memoiren
ILAN PAPPE, Die ethnische Säuberung Palästinas
http://de.wikipedia.org/wiki/Pal%C3%A4stinakrieg#Historiografie
Mt 27;25