Als Exil-Dresdner verfolge ich seit dem Herbst intensiv das Aufkommen von #Pegida und die Gegendemonstrationen von #nopegida und „Dresden für alle“. Über Weihnachten war ich zurück in meiner Heimatstadt. Meine Eindrücke von dort habe ich hier und in einem ersten Teil aufgeschrieben. Gerade beim Thema #Pegida dient mir das Schreiben als Denkhilfe. Meine Gedankengänge sind also ganz bestimmt nicht abgeschlossen, sondern nur ein Ausschnitt aus dem was mich zum Thema bewegt. (Mehr zur #Pegida auf diesem Blog.)
Allen Dresdnern, die ich über die Weihnachtstage gesprochen habe, war bei der ganzen Angelegenheit doch eher unwohl. Musste es ausgerechnet wieder Dresden sein? Betont wurde auch, dass viele #Pegida-Leute aus anderen Städten und Gegenden Deutschlands und sogar aus dem Ausland anreisten. Das kann gut sein. Gleiches gilt aber auch von den großen Anti-Rechts-Demos in Dresden. Ohne die Hilfe von „Außen“ wäre es Dresden in den letzten Jahren nicht gelungen, die Naziaufmärsche rund um den 13. Februar einzudämmen. Solche Helfer werden in Sachsen gerne mal vor Gericht gestellt.
Viele Menschen distanzieren sich mehr oder weniger deutlich von der #Pegida, zumeist mit Hilfe eines recht angespannten Galgenhumors. So mancher Dresdner fühlt sich wohl auch zu Unrecht in die rechte Ecke gedrängt, als ob alle hier Nazis wären. Gerade diejenigen, die sich #Pegida näher angeschaut haben, z.B. in der Straßenbahn oder auf dem Fußweg zu den montäglichen Demos, widersprechen der Annahme, dass es sich bei den #Pegida-Leuten ausschließlich um Neonazis, Hooligans und Schlägertypen handelt. Und hier ist auch Erschrecken darüber spürbar, wer alles da mitmacht und eine große Ratlosigkeit, warum überhaupt so viele Menschen an den Demos teilnehmen.
An jedem Abend, in jedem Gespräch, an jedem Tisch wurde über das Thema gesprochen. Ob das nun an mir lag, dem das Thema einfach nicht aus dem Kopf wollte? Alle meine Gesprächspartner, besonders die, die keine Notwendigkeit sehen, ihre demokratische, weltoffene Gesinnung immerzu unter Beweis stellen zu müssen, schwankten zwischen Ärger darüber, dass ausgerechnet wieder Dresden als rechte Stadt am Pranger der Öffentlichkeit steht, rapiden Erklärungsnotstand, was das überhaupt alles soll, einer unspezifischen Verteidigungshaltung, die sich vor allem gegen die Verballhornung der Dresdner in den Medien wehren möchte und einer deutlich wahrnehmbaren Scham über das, was da auf Dresdner Plätzen geäußert und beklatscht wird.
Irgendjemand hat es irgendwo sicher schon aufgeschrieben, ich meine es auch: Ja, wir erleben hier – denke ich – die Entstehung einer neuen ausländerfeindlichen, rechtsextremen Bewegung. Das bedeutet vor allem, dass wir in einer Zeit der Entscheidung stehen. Und das bedeutet wiederum, dass hier eine Chance ist, dass mehr Menschen sich politisieren.
Was ist überhaupt rechtsextrem? Das scheint vielen überhaupt nicht klar zu sein. Allzu sehr ist damit für viele Menschen das klare Bild vom Neonazi in Springerstiefeln verbunden oder das in Sachsen bekannte Gehabe der NPD. Das Rechtsextremismus in vielerlei Formen, unter andersfarbigen Fahnen und getarnt als besorgter Konservatismus auftreten kann, das gilt es jetzt herauszuarbeiten.
Dabei sollten wir alle uns einfachen Verallgemeinerungen enthalten. Nur dann ist es möglich, klar zu benennen, was rechtsextrem ist und was nicht. Was akzeptable Meinungsäußerungen ist und was Hetze. Für mich persönlich gilt aber auch: National-Konservatismus und ein Entgegengehen (wie es dieser Tage z.B. die CSU wieder versucht) haben erst dazu geführt, dass völkische Gedanken und Hass so offen unter uns gedacht und geäußert werden. Deshalb muss man auch solche Einstellungen politisch bekämpfen.
„Ich bin ja kein Nazi, aber …“, über diese Satzkonstruktion haben wir uns in den letzten Wochen lustig gemacht und wir haben diesen Satzanfang viel zu häufig gehört. Kann es denn wirklich sein, dass so viele Bürger – und zwar die #Pegida-Sympathisanten wie auch liberal und demokratisch Gesinnte – nicht wissen, was dazu gehört, um rechtsextrem zu sein? Sind so viele der rechtsextremen Einstellungen wieder oder immer noch selbstverständlich, dass ihre Identifikation so schwer fällt?
Mit Zeit der Entscheidung meine ich auch, diese Unterscheidung in der Öffentlichkeit und im Privaten deutlicher zu treffen. Dazu muss ich niemanden als Nazi diffamieren. Ich muss ihm deutlich sagen: das was Du da denkst ist rechtsextrem und die, von denen Du dich einspannen lässt, sind gefährlich, auch wenn Du es nicht glaubst oder wahr haben willst!
Und dann muss ich meine Entscheidung treffen, wie und ob wir beide miteinander weiter machen wollen. Vielleicht ja mit der Frage an die #Pegida-Sympathisanten und ihre „Schützer“ von der AfD: Wie meint ihr denn, wollt ihr das, was ihr da fordert, umsetzen? Von der Beantwortung dieser Frage erhoffe ich mir die Enttarnung der getarnten Rechtsextremen. Denn ihre Lösungen laufen auf Apartheid und Grundgesetzbruch hinaus.