Von April 2013 bis Februar 2017 sind viele Artikel von mir auf theologiestudierende.de erschienen. Anders als die „Unter Heiden“-Artikel habe ich den Großteil meiner Artikel nicht gleichzeitig (oder mit Verzögerung) hier auf dem Blog gepostet. Nachdem das Gruppenblog vor einigen Wochen vom Netz gegangen ist, sind diese Artikel nun nicht mehr einfach online zu erreichen. Das ist nicht schlimm. Um einige Artikel ist es aber, finde ich, schade. Vor allem, weil ich noch heute mit Verlinkungen gerne auf sie zurückkomme. Man muss sich ja nicht ständig wiederholen.
Ein paar dieser Artikel, darunter die längeren Essays, werde ich gelegentlich und absolut unregelmäßig, wenn es mir passend erscheint, hier auf meinem Blog erneut hochladen. Und zwar nahezu unverändert zur ursprünglich veröffentlichten Version. Was auch heißt, dass seit Abfassung mehrere Jahre des Lernens und Schreibens vergangen sind. Alle Texte sind unzureichend, aber so ist das halt.
Den Artikel über die Befassung mit dem Islam in der Zeitschrift ideaSpektrum lade ich wieder hoch, weil ich auf Ideain einem aktuellen „Die rechte Ecke“-Artikel Bezug nehme. Die Grafiken, die wir damals extra gebastelt haben, haben die Rettung vom theologiestudierende.de-Server nicht überlebt, sorry.
Idea und der Islam
10. August 2016
Kollege Melzer hat am Montag seinen Unmut über einen Kommentar in der aktuellen Ausgabe der idea Spektrum geäußert: „Heute […] schreibt der Leiter von eben diesem idea einen Artikel, in dem er eben jene frohe Botschaft völlig verdreht, um seine Leserschaft gegen den Islam zu politisieren.“ Wie steht es um idea und ihren Umgang mit dem Islam? Ist sie beispielhaft für einen vermuteten Wandel innerhalb des Evangelikalismus?
Themenmonat Islam und Theologie
Viele Muslime leben seit Jahrzehnten (manche gar seit Jahrhunderten) in Europa, andere wandern zur Zeit ein oder befinden sich auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung. Welche Rolle spielt ihre Religion in diesen Konflikten und in ihrem Alltag? Welche Impulse gehen von der islamischen Theologie aus? Was kann die christliche Theologie zur Debatte beitragen? Was können wir voneinander lernen?
Anknüpfend an einen vielbesprochenen Artikel von Liane Bednarz wurde Anfang des Jahres das Verhältnis der Evangelikalen zur politischen Rechten diskutiert. Hier bin ich Unter Heiden schon einmal ausführlich auf das Thema Evangelikalismus und Politik eingegangen. Damals habe ich in weiten Teilen des Evangelikalismus Anknüpfungspunkte für eine sich dezidiert als rechts verstehende Politik festgestellt. Ich nannte das damals die deutsche Tea-Party.
Kritik an idea
idea steht spätestens seit dem letzten Herbst für ihre anti-muslimische Grundhaltung und ihre Ablehnung der EKD in der Kritik. Das ist insofern interessant, weil idea mit 130.000 Euro jährlich von der EKD, also aus der Kirchensteuer der Mitglieder der Landeskirchen gefördert wird, die bei idea gerne mal auf die Mütze bekommen. „Wes Brot ich ess, des Lied ich sing“, sollte für ein journalistisches Medium zwar nicht gelten, doch die Tonalität der EKD-Kritik, bis hin dazu, die allgemeine Lauheit des Glaubens der Landeskirchler zu beklagen, ist immer wieder bemerkenswert.
Anlässlich der erneuten Kritik an idea – die wohlgemerkt nicht im luftleeren evangelikalen Raum geschieht – wollte ich mir das Magazin doch mal genauer anschauen. Ich lese die idea Spektrum nämlich sonst nicht. In den Kreisen, in denen ich zumeist verkehre, gilt sie als Vereinsblatt der Frömmler mit nur wenig Strahlkraft über die Evangelische Allianz hinaus. Trotz aller Paukenschläge handelt es sich bei den Gemeinden und Werken der Evangelischen Allianz um eine kleine Minderheit der Christen hierzulande.
Doch um die idea kommt man nicht drum herum, wenn man im Internet unterwegs ist. Artikel von idea.de gehören regelmäßig zu den meistgeteilten Artikeln konfessioneller Medien. Die Motive der Nutzer sind höchst unterschiedlich: Protest und emphatische Zustimmung halten sich wohl die Waage. Allein, kein anderes Kirchenmedium hat den Dreh mit der Viralität so raus. Für diejenigen, die von Berufswegen oder aus privatem Interesse ein Auge auf die Evangelikalen werfen, ist idea eine unverzichtbare Quelle.
Fragen und Zahlen
Ich habe mir also das gedruckte Magazin bestellt. Es handelt sich um eine sommerliche Doppelausgabe mit sechzig Seiten. Bei der Lektüre bewegten mich drei Fragen: Wie wird im gesamten Heft mit dem Islam und angrenzenden Themen wie Migration, Flüchtlingen, Verfolgung von Christen, etc. umgegangen? Wie politisch ist das Heft allgemein? Lässt sich eine Nähe zur Neuen Rechten feststellen?
Insgesamt habe ich im Heft 76 Beiträge gezählt, inklusive der Leserbriefe. In 20 Beiträgen geht es um den Islam bzw. gibt es substantielle Erwähnungen. Damit liegt der Islam an der Spitze aller verhandelten Themen. Bis auf zwei Ausnahmen wird der Islam im Modus der Fremdheit und der Bedrohung behandelt, häufig mit klarem Bezug zur Mission (insgesamt 17 Beiträge des Heftes haben die Mission zum Thema).
Löbliche Ausnahmen
Die eine Ausnahme ist Michael Diener, Präses des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und gerade noch Vorsitzender der Evangelischen Allianz (DEA), über dessen Beitrag zur Jahreskonferenz der Allianz in Bad Blankenburg berichtet wird. Er sagte: „Es ist nicht glaubwürdig, wenn sich diese Forderung [nach Religionsfreiheit] nur auf die eigene Religion beschränkt.“ Dazu gehöre auch die Möglichkeit der Erteilung von Religionsunterricht, die er gegenüber anderen Teilnehmern verteidigt hat, die in ihm eine Möglichkeit zur „Ausbreitung einer nichtchristlichen Religion“ sehen.
Mir drängt sich beim Lesen zwischen den Zeilen der Eindruck auf, dass Diener seine letzte Jahreskonferenz als Vorsitzender dazu genutzt hat, den Evangelikalen ins Gewissen zu reden. Dass er sich mit derlei toleranten Überzeugungen in den eigenen Reihen reichlich Gegnerschaft erworben hat, ist bekannt und wohl auch der Hintergrund seines frühzeitigen Rückzugs vom Amt des Vorsitzenden der DEA, der offiziell mit Arbeitsüberlastung begründet wird.
Die zweite Ausnahme bildet „Die Kleine Kanzel“ von Alexander Butscher, Gymnasiallehrer aus Berlin, der in seiner kurzen Andacht auf den Frieden abhebt, den Christus schenkt. Aus der Bindung an den Auferstandenen „sollten wir Mut zur Ehrlichkeit aufbringen“, schreibt er, „und zwei Fehler vermeiden: Selbstgerechtigkeit ist der eine. Wie oft und wie gerne wird in christlichen Gemeinden und Medien das Bild eines letztlich doch guten Abendlandes (da ja christlich geprägt) und eines bösen Orients (da ja muslimisch geprägt) gezeichnet. Dabei wird übersehen, dass die derzeitige Konfrontation Täter auf beiden Seiten hat.“ Ihm geht es um die Waffenlieferungen, mit denen im Westen auf Kosten vieler Opfer prächtig Geld verdient wird.
Auch kritisiert er den Rückzug vieler Frommer in die christliche Szene, in der sie es sich kommod gemacht hätten: „Christus aber, der Friedefürst, sendet uns in diese Welt – nicht um anzuklagen und nicht um wegzuschauen, sondern um mit offenen Augen die Not zu sehen, mit offenen Armen tatsächlich Fliehende zu empfangen, Wunden zu verbinden und der Gewalt – auf beiden Seiten – zu wehren.“
Wen er unter den „tatsächlich Fliehenden“ versteht, bleibt offen. Seine Andacht ist aber der einzige Beitrag, der im Blick auf den Islam auch selbstkritische Töne anschlägt und jedenfalls nicht im Duktus eines Kulturkampfes oder Gegeneinanders der Religionen verfasst ist.
Unmögliche Integration
Besonders augenfällig ist es, dass in allen Beiträgen der Ausgabe mit Bezug zum Islam – immerhin 26 Prozent aller Texte -, nicht ein einziges Beispiel gelingender Integration von Muslimen zur Sprache kommt. Integration erscheint nur als Möglichkeit, wenn es sich wie bei Mohsen Hosseini um einen Migranten christlicher Konfession handelt.
Und selbst im Artikel, der den jungen Iraner vorstellt, der in Düsseldorf als Bademeister zu arbeiten begonnen hat, wird unvermeidlich auf die „kulturelle Kluft“ zwischen Flüchtlingen und deutscher Bevölkerung hingewiesen: „In dem Schwimmbad, in dem Hosseini arbeitet, habe es keine Übergriffe auf weibliche Badegäste gegeben, erklärt die Leiterin Michaela Brinkmann. ‚Aber wenn es mal zu so etwas kommen sollte, ist es gut, Mohsen hier zu haben.’“
Es sind solche kleinen Einlassungen in allen Artikeln, die sich mit Flüchtlingen oder Islam beschäftigen, die mich beim Lesen zunehmend aufgebracht haben. Sie künden von einer Haltung, die im Andersgläubigen vor allem Gefahr wähnt. Nur noch ein weiteres Beispiel:
„Bild der Woche“ (S. 5) ist eine herzliche Aufnahme von 18 ehemaligen Muslimen, die in Berlin von einer Diakonisse in eine Landeskirchliche Gemeinschaft hinein getauft wurden. Sie lächeln breit und halten ihre Taufkerzen und Taufurkunden – hier in Deutschland hat alles seine amtliche Richtigkeit – in die Kamera. Ein schönes Bild.
Garniert wird das Bild mit einem kurzen Text, der darauf abhebt, dass in den letzten zwei Jahren fast 3000 Exmuslime Christen geworden seien. Auch damit habe ich null Probleme. Dann aber: „Es handele sich meist um Angehörige der akademischen Oberschicht. Der Fanatismus und die Grausamkeit des islamischen Regimes im Iran sei ihnen zuwider, so dass einige bereits vor ihrer Flucht nach Alternativen gesucht hätten.“
Das wird wohl so stimmen, auch die christlichen Flüchtlinge aus dem Iran, die ich in Eisleben kennengelernt habe, sind aus diesen Gründen zu uns nach Deutschland gekommen. Was mir missfällt und schlicht unzutreffend ist, ist die Vermutung, der Islam sei die Religion der ungebildeten Masse und nichts für Leute mit ein wenig Grips im Hirn.
Mehr Bibel erwartet
Viermal muss man umblättern, bevor man auf Seite 10 den ersten Artikel lesen kann, der nicht zuforderst Politik zum Thema hat. Und auch in diesem (dem Bericht von der Jahreskonferenz der DEA, s.o.) geht es zu 80 Prozent um den Islam.
Asyl, Flüchtlinge, Islam und Terror sind aktuelle Themen und es spricht nichts dagegen, dass sich auch ein Magazin mit ihnen beschäftigt, das „Nachrichten und Meinungen aus der evangelischen Welt“ auf dem Titel ankündigt. Ein wenig überrascht war ich aber doch darüber, dass all die Beschäftigung mit politischen Themen fast ohne biblische Bezüge auskommt.
Ich habe gründlich nachgeschaut: von der Bibel ist nicht mehr als fünf Mal die Rede – im ganzen Heft! Und ich habe auch Beiträge mitgezählt, in denen einzelne Bibelverse scheinbar nur zum Schmuck eingestreut wurden. Natürlich gibt es in der evangelikalen Medienwelt genug Magazine und Bücher, die Bibelmaterial zu Verfügung stellen, trotzdem: Die Abwesenheit der Bibel ist bemerkenswert.
Die idea Spektrum verweist in ihrem Impressum darauf, dass sie auf der theologischen Basis der Evangelischen Allianz erscheint. Dort heißt es im zweiten Absatz, also ziemlich prominent: „Wir bekennen uns zur göttlichen Inspiration der Heiligen Schrift, ihrer völligen Zuverlässigkeit und höchsten Autorität in allen Fragen des Glaubens und der Lebensführung“. Das scheint für alle möglichen Lebensvollzüge zu gelten, aber nicht für die Politik.
Eindimensionale Sicht
Der Islam und Phänomene, die mit ihm im Zusammenhang stehen – wie Migration, Flucht, Verfolgung von Christen in islamischen Ländern, Terror und Mission -, werden höchst eindimensional abgehandelt. Nun wird man von Christen keine Abfeierei des Islam – egal um was es en detail geht – erwarten müssen.
Eine friedliche Koexistenz in einer freien Gesellschaft setzt auch voraus, dass sich die Muslime selbst vertreten und nicht von Christen und Kirchenleitungen „bemuttert“ werden müssen. Genau eine solche Haltung gegenüber dem Islam, die vielfach verharmlosend gegenüber Phänomenen wie Terror und Verfolgung von Minderheiten im Namen der islamischen Religion auftritt, hatte idea-Chef Helmut Matthies in seinem Kommentar unter dem Titel „Als Christen achten wir Muslime, lehnen aber die Religion des Islams ab“ am 26. Juli 2016 kritisiert. In Wortwahl und Gesinnung durchaus fragwürdig verfasst, sind doch die darin enthaltenen Argumente nicht ganz unzutreffend.
Was Matthies jedoch nicht sehen will, ist die strukturelle Benachteiligung oder auch nur Unsicherheit, die Muslime in Deutschland erleben. Weil es die aber gibt, bleibt es bis auf Weiteres notwendig, dass sich die großen Kirchen für den islamischen Religionsunterricht und im Ernstfall ebenso für den Bau von Moscheen einsetzen. Das sind wir nicht zuerst den Muslimen schuldig – von wegen Reziprozität in islamischen Ländern -, sondern dem hohen Gut der allgemeinen Religionsfreiheit, also uns selbst gegenüber.
Von alldem – Religionsfreiheit, Zusammenarbeit der Religionen, Respekt vor Andersgläubigen, staatsbürgerliche Verantwortung – ist in dieser Ausgabe der idea Spektrum, die sich so ausführlich mit dem Islam befasst, abgesehen von den genannten Ausnahmen nichts zu spüren. Und wenn man Helmut Matthies beim Wort nimmt, soll es das auch nicht.
Das ist in sofern bedauerlich, weil es im ganzen Land viele Gemeinden und Werke der Evangelischen Allianz gibt, die sich – von mir aus auch aus missionarischer Motivation heraus – rührend und aufopfernd um Flüchtlinge und Migranten kümmern. Welcher Dienst ihnen mit einem solchen publizistischen Flaggschiff erwiesen wird, bleibt für mich unklar.
Politisch rechts
Wie politisch ist das Heft allgemein? Sehr, allerdings geht es vor allem um die üblichen Herz- und Magenthemen des evangelikalen Politikinteresses. Dass es auf dieser Welt und in unserem Land noch andere Themen gäbe, zu denen man Nachrichten und Meinungen aus der evangelischen Welt schreiben und lesen könnte, geschenkt.
Es sind diese Themen aber zugleich die bekannten Anknüpfungspunkte für eine rechte Politik, wie ich an anderer Stelle ausführlich geschrieben habe. Nachdem in der vorausgegangenen Ausgabe Thomas Rachel, der Bundesvorsitzende des Evangelischen Arbeitskreises der CDU/CSU, zur Treue gegenüber den Unionsparteien aufrufen durfte, darf in der aktuellen Ausgabe Konrad Adam von der AfD ausführlich und unwidersprochen für seine Partei werben, den Kirchen die Diskriminierung der AfD vorwerfen und sich gehörig selbst bemitleiden.
Den Nagel auf den Kopf trifft Pastor Ulrich Rüß, der Vorsitzende der Konferenz Bekennender Gemeinschaften in den evangelischen Kirchen Deutschlands, über den in einem kleinen Kasten auf der gleichen Seite berichtet wird, dass er angesichts der Übereinstimmung in Fragen des Lebensschutzes, des traditionellen Familienbildes und gegenüber dem Gender-Mainstreaming meint, dass man als Christ der AfD in wichtigen ethischen Beschlüssen zustimmen müsse. Und, dass man solche eindeutigen Beschlüsse bei den anderen Parteien und auch in der EKD „leider vergeblich“ suche.
Nicht nur, aber besonders hier wird die inhaltliche Nähe zur AfD greifbar und der Leserschaft gewürzt mit dem üblichen EKD-Bashing untergeschoben. Will man diese Ausgabe der idea Spektrum einfach einmal auf der gängigen politischen Skala einordnen, dann handelt es sich dabei ganz eindeutig um ein rechtes Blatt.
Und rechte Blätter darf es geben. Max Melzer schrub auch schon einmal von dem Vorteil, sich solche Blätter quasi im eigenen Vorgarten zu halten und die avisierte Zielgruppe dadurch einzubinden. Ob es angesichts der permanent vorgetragenen Abneigung ausgerechnet der Vorgarten der EKD sein muss, bleibt anzuzweifeln.
Und die Neue Rechte?
Ein Organ der Neuen Rechten ist idea Spektrum allerdings auch mit dieser Ausgabe nicht. Es fehlt die spezifische Sprache, es fehlen ferner rassistische Motive. Wohl aber wird ein religiös verbrämter Chauvinismus gegenüber dem Islam vorgetragen. Es bleibt abzuwarten, ob sich Teile der Leserschaft und damit auch das Blatt im Sog der AfD weiter radikalisieren. Dann könnte aus idea Spektrum eine hübsch christlich geprägte Hauspostille der Neuen Rechten werden.
Auf der eigenen Medienservice-Seite bietet das Magazin einen Überblick über jene Artikel, die während der letzten Woche auf idea.de und über Facebook am meisten gelesen und kommentiert wurden. Allesamt setzen sie sich kritisch bis problematisch mit dem Islam auseinander. In der Redaktion folgt man zumindest diesem Sog eindeutig.