Diese Predigt habe ich im Gottesdienst zu Lätare am 15. März 2015 in der Christuskirche Halle (Saale) gehalten. Predigttext war Johannes 12, 20-25.
„Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.“
I
Liebe Gemeinde,
haben sie schon einmal vom Animationsfilm „Oben“ gehört? Der ist ganz wunderbar gemacht. Erzählt wird die Lebensgeschichte eines Mannes, Carl Fredricksen. Zu Beginn des Filmes erleben wir in einem Zeitraffer sein Leben von Kindheit an: Wie er als abenteuerlustiger Junge auf Ellie trifft, ein aufgewecktes, freches, ebenso abenteuerdurstiges Mädchen. Wie sie fortan gemeinsam ihr Leben gestalten. Heiraten, den Versuch unternehmen eine Familie zu gründen. Wir sehen die Vorbereitungen auf die Geburt des Kindes und auch, dass Ellie das Kind verliert. Wir sehen die Trauer in beiden – gezeichneten, animierten und trotzdem zu Herzen gehenden – Gesichtern.
Wir sehen ihren Arbeitsalltag als Zoomitarbeiter und wir sehen die beiden älter und älter werden. Ihren Traum, einmal auf ein Abenteuer nach Südamerika – zu den Paradiesfällen – aufzubrechen, behalten die beiden stets im Herzen. Doch dessen Erfüllung schieben die beiden immer wieder auf. Mal geht das Auto kaputt, mal muss das Haus repariert werden. Das zusammengesparte Geld wird dafür immer wieder ausgegeben. Und als Carl seiner Ellie im Alter die gemeinsame Reise schenken will, da wird Ellie krank und stirbt bald darauf. Das große Abenteuer der beiden bleibt unerfüllt.
Zurück in der Gegenwart sehen wir Carl als mürrisch und einsam gewordenen Rentner, der sich dagegen wehrt, das gemeinsame Haus zu verkaufen, damit auch dort moderne Wolkenkratzer gebaut werden können. Doch schlussendlich gibt es für ihn keine Alternative mehr: er soll in ein Seniorenheim ziehen und das Haus und damit das Leben mit Ellie und den gemeinsamen Traum hinter sicher lassen.
Dagegen lehnt sich der alte Fredricksen nun aber auf. Gerade als die Pfleger kommen, um ihn abzuholen, fliegt er ihnen mitsamt des ganzen Hauses davon. Von seiner Arbeit als Luftballonverteiler im Zoo hat er sich Hunderte von Ballons zurückbehalten. Diese Luftballons tragen ihn und sein Haus nun in Richtung Südamerika, in Richtung der Paradiesfälle.
II
Das Leben vergeht. Es ist mal kurz, mal länger. Und es gibt nichts, das wir tun können, ihm auch nur eine Länge hinzuzufügen. Es vergeht in Mühsal, in Freude, und wir selbst mit ihm. Alles nur ein Haschen nach Wind. So weiß es schon der Prediger aus dem Alten Testament.
Und wir wissen, ja wir haben es in den Kirchen schon so häufig gehört: es ist nicht gut, wenn wir unser Herz übermäßig an unser irdisches Leben hängen, stattdessen sollten wir uns lieber himmlischer beheimaten. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Oder aber eben wie Luther es so triftig übersetzt: „Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.“
Ich weiß nicht, wie es ihnen mit solchen Sätzen geht. In mir regt sich Widerspruch. Oder ehrlich gesagt: Mich machen solche Sätze richtig wütend. Erstens, weil ich glaube, dass genau solche Sätze und Christen, die ihnen wie Lemminge hinterherlaufen dafür verantwortlich sind, dass so mancher denkt, wir Christen seien mehr um die Ewigkeit und das Jenseits besorgt, als um das Leben in dieser Welt. Und zweitens, weil ich selbst mein Leben liebe.
Ich schaue mich um und sehe so viel Leben, dass wenn es aucmanchmal schwer und schwach ist, doch am Leben bleiben will. Und wenn ich Menschenleben sehe, die von Verachtung gegenüber ihrer Gegenwart und Zukunft und Reue gegenüber ihrer Vergangenheit geprägt sind, dann habe ich Mitleid mit den Menschen. Ist es denn nicht auch Aufgabe der Christen, den anderen, den Heiden, zu zeigen, dass sich das Leben lohnt, erst recht gegen manchen Augenschein?
Die anderen, die Heiden, sie spielen in diesem Text aus dem Johannesevangelium eine ganz prominente Rolle. Die Griechen, die zum großen Passahfest nach Jerusalem kommen, wer sind sie? Es sind Menschen aus den Völkern, eben keine Juden. Sie kommen, weil sie an den einen Gott glauben. Aber sie gehören nicht richtig dazu, weil sie nicht als Juden geboren wurden. Doch sie kommen zum Fest, sie wollen dabei sein, sie pilgern nach Jerusalem.
Und scheinbar werden sie, vielleicht durch äußere Gründe die unerwähnt bleiben oder durch ihre eigene Zurückhaltung, daran gehindert direkt mit diesem Jesus aus Galiläa zu sprechen. Stattdessen sprechen sie einen der Männer an, die mit ihm ziehen. Philippus stammt auch aus Galiläa, aber er trägt wie sie einen griechischen Namen, genauso wie Andreas, den Philippus als nächsten anspricht.
Sie sprechen also die Jünger an, nicht den Meister. Ein kleines Gleichnis verbirgt sich hier auf halber Strecke für uns: Es sind die Jüngerinnen und Jünger Jesu, die den Heiden in vielem gleich sind, die auf der Grenze stehen, die den Graben zwischen den Völkern und Gott überbrücken helfen können. Philippus und Andreas und wir sind in den Brückenbaudienst gerufen, sind Brückenbauer, lateinisch Pontifex. In diesem Sinne sind wir tatsächlich Papst.
Und die Heiden und Jüngerinnen und Jünger hören Jesu Wort vom Weizenkorn, das sterben, d.h. seine bisherige Lebensform hinter sich lassen, muss – damit ein Halm wachsen und Frucht tragen kann. Und dann diese verstörenden Worte: „Wer sein Leben lieb hat, der wird’s verlieren; und wer sein Leben auf dieser Welt hasst, der wird’s erhalten zum ewigen Leben.“
III
Wie erklärt sich nun den Heiden und den Jüngern Jesu dieses Wort? Vielleicht ja so: Mit Ewigkeit ist kein Leben nach dem Tod gemeint. Kein Leben, das dahinter kommt, sondern eben das Leben dahinter. Kein Jenseits nach dem Tod, sondern ein anderes Leben jenseits des Lebens. Die Ewigkeit Gottes verbirgt sich in und hinter unserem Leben hier.
Wir sind viel zu schnell damit, das ewige Leben, auf ein Leben nach dem Tod, auf eine Wirklichkeit nach dem letzten Endes unserer Lebensreise auszulegen. Es ist nicht die Fortsetzung unseres irdischen Lebens in einem linearen Sinne bis in alle Zeiten. Das Entscheidende ist nicht die Zeitlichkeit des ewigen Lebens, sondern die Suche nach ihm. Allein die Sprache, die Bilder, in denen wir die Suche und die damit verbundene Hoffnung ausdrücken, ist häufig zeitlich.
Ewigkeit kann nur im Hier und Jetzt erfahren werden. Ewiges Leben taugt nicht als Vertröstung, denn es bedeutet nicht ein anderes, besseres Leben nach dem Tod, sondern eine Teilhabe an der Quelle, aus der unser endliches Sein kommt und zu der es zurückkehrt.1 Das ist keine Vertröstung mehr auf das Leben nach dem Tod, sondern wirklicher Trost in unserem Leben.
Denn es bedeutet nicht zuletzt, dass wir uns ehrlich auf die Suche machen können. Wo und wann und wie kann die Ewigkeit Gottes in unser Leben einbrechen? In der Stille, in der Betrachtung der Natur oder von Kunst, beim Singen und Musikhören und auf manchem Wege noch. Vor allem aber dort, wo es uns Jesus gezeigt hat: in der Gemeinschaft mit anderen Menschen. Beim Brechen des Brotes und Trinken des Weines. In Momenten tief empfundenen Lebens: der Sorge, der Trauer, der Freude, der Lust – alles Dinge, die man niemals wird alleine erleben können und von denen die Sakramente der Kirche nur ein schwaches, aber durchhaltendes Zeichen sind.
Wenn unsere Reise hier auf Erden zu Ende geht, beschließen wir einen Kreis, die Reise der Getauften. Wir sind das Wasser der Taufe, aus Staub geformt und belebt mit dem Atem Gottes, „Da machte Gott der HERR den Menschen aus Erde vom Acker und blies ihm den Odem des Lebens in seine Nase. Und so ward der Mensch ein lebendiges Wesen.“ Und wenn wir sterben und zurückkehren zur Quelle, aus der unser endliches Sein kam, dann dürfen Christen glauben, dass der Tod einfach das Zuendekommen unserer Reise in der Taufe ist: Weil wir dann nicht mehr Wasser sind, sondern wieder zu Staub werden und zu Gottes Atem.2
Und was ist nun aus Carl Fredricksen geworden? Hat er sein Ziel, die Paradiesfälle, erreicht? Ja und Nein. Auf alle Fälle hat er auf seiner Reise neues Leben gefunden, eigentlich eine neue Reise begonnen. Am besten ist es, Sie schauen es sich einmal selber an. Man kann wohl von Abenteuern und Reisen erzählt bekommen, um sie zu erleben, muss man sich selbst aufmachen, wenn auch nur zur Videothek.
Amen.
1) nach Paul Tillich in seinem Brief an Cécile
2) nach Nadia Bolz-Weber: „In the beginning“ – A Sermon on the Occasion Of Paula’s Baptism