Sich raushalten

Es gibt Nachrichten, zu denen nichts zu sagen ist. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass man von ihnen zuerst und viel schneller als “früher” in den Sozialen Netzwerken hört. Ja, es ist richtig, dass Nachrichtenunternehmen und Journalisten schnell versuchen, nötige Informationen zu verbreiten und aufzuklären. Unsere Gesellschaft braucht diese Mediendienstleistungen. Aber es ist geschmacklos, das Leid von Menschen unnötigerweise zu zeigen.

Auch Trauer und Verzweiflung genießen Privatssphäre, diese sollte nicht auf dem Markt der Klicks und Zugriffszahlen geopfert werden. Solche Medien will ich nicht konsumieren und unterstützen. D. h. auch, dass es nicht förderlich ist, die verständliche Empörung über Medienfehlverhalten mit einem Beweislink zu beklagen. Boulevardmedien leben von Aufmerksamkeit, egal wie sie zu ihr kommen.

In unübersichtlichen Situationen – wie der Absturz der Germanwingsmaschine heute ja nur eine von vielen ist – möchte ich mich lieber zurückziehen und abwarten, mich selbst in Ruhe informieren und mir ein Urteil bilden. Jedenfalls gut überlegen, ob und was ich zu einem bestimmten Ereignis zu sagen habe – und sei es auch nur ein Tweet oder ein Blogbeitrag.

Ich verstehe das Bedürfnis vieler Menschen, ihrem Entsetzen und ihrem Mitleid öffentlich Ausdruck zu verleihen. Ich teile es nicht. Das meine ich im doppelten Wortsinn. Ist ein Retweet, ein Share, gar ein Like die angemessene Reaktion auf ein Unglück?

Weil ich daran zumindest erhebliche Zweifel habe, enthalte ich mich solcher Aktionen. Das hat dann zur Folge, dass ich mich aus den Sozialen Medien eher raushalte. Das ist eine vielleicht unbequeme Pause, ich finde sie ganz lehrreich.


PS: Mir ist durchaus bewusst, dass ich mit diesem Blogpost, wenn auch mit Verzögerung, am Social-Media-Geschehen teilnehme und damit einen Teil meiner Argumentation ad absurdum führe. Ich bin in meinen Überlegungen zu dem Ergebnis gekommen, dass meine Äußerungen weder die Opfer noch ihre Angehörigen und weitere Betroffene verhöhnen und zu ihrem Leid beitragen. Auf mehr als auf dieses eigene Nachdenken kann ich mich nicht verlassen.

Unter Heiden (12): Als wir träumten

Es ist geschehen. Die neue Zeit. Wir sehen das junge Leben auseinanderbrechen und sich nur teilweise zusammenrütteln. Wir sehen auf Leipzig, auf den Osten nach der Wende. Andreas Dresen verfilmt Clemens Meyers Erstling Als wir träumten. Vieles ist unsicher. Sicher ist, dieser Film ist großes Kino. Deshalb erst einmal Musik an (hier klicken).

Ein geübter, genauer Blick auf das Leben von sechs Jugendlichen, mit deren Kindheit auch die DDR unterging, das ist Als wir träumten. Und noch mehr: Es ist auch der Blick, den drei Männer unterschiedlicher Generation auf das Ende der DDR und die „neue Zeit“ werfen – voller Empathie und Anmut. Deshalb geht es nicht nur um das Leben der Sechs kurz vor und nach der Wende, sondern um das Jung- und Jugendlichsein überall und jederzeit. „Unter Heiden (12): Als wir träumten“ weiterlesen

Unter Heiden (11): Atemlos durch die Nacht

Pegida, überall Pegida. Und ich komme gar nicht dran vorbei, so sehr ich mich auch bemühe. Alle Welt kennt nur ein Thema, haben wir es damit nicht auch übertrieben? Wenn ich mich dann wieder mit Pegida beschäftige, fällt es mir schwer, außer Kopfschütteln noch etwas anderes rauszubringen: einen klugen Gedanken oder vielleicht eine Idee davon, wie das wohl weiter oder zu Ende gehen könnte. Oder erledigt sich das von selbst?

Dann bin ich vom Nachdenken wieder müde und die Woche ist wieder herum und wieder gibt es neue Artikel, neue Zahlen und Eindrücke und es geht von Neuem los. Pegida raubt mir den Atem. Nicht nur mir, sondern vielen Menschen, allzumal in Ostdeutschland. Ich bin atemlos und die Heiden sind es auch. „Unter Heiden (11): Atemlos durch die Nacht“ weiterlesen

Und alle Welt vergehet – Eine Biedermeierkritik zum 200. Todestag von Matthias Claudius

Am 21. Januar 2015 jährt sich das Ableben Matthias Claudius’ zum 200. Mal. Er ist einer der wenigen Dichter, von dem mit Fug und Recht behauptet werden kann, dass wenigstens einige seiner Zeilen in das Gedächtnis unserer Kultur eingeschrieben sind. Dazu gehören vielleicht noch ein paar Zeilen Goethe, Schiller, Heine und später sind Bonmonts von Kästner und Brecht hinzugetreten, aber jedes Kind kennt den Mond, der aufgegangen ist.

“Es gibt Melodien und Verse, die lange Zeit im kollektiven Gedächtnis einer Kultur bleiben – auch bei Leuten, die behaupten, keine Ahnung von Musik und Lyrik zu haben. In hiesigen Breiten wird beim Anblick des Mondes wohl nicht nur an Raumfahrt gedacht, sondern auch an das Abendlied von Matthias Claudius. “Der Mond ist aufgegangen”: Diese Verse schildern zunächst Natureindrücke, – Mond, schweigender Wald, weißer Nebel – dann gehen sie in eine kleine Predigt über, sprechen von der menschlichen Torheit; schließlich werden sie zum Gebet mit der Bitte um einen ruhigen Schlaf.” – aus “Matthias Claudius – ein bescheidener Charakter” von Angela Gutzeit (deutschlandfunk.de)

Neuer Biedermeier
Irgendwo – wahrscheinlich an mehreren Stellen in diesem Internet, nur wo genau, dass weiß ich nicht mehr – habe ich den letzten Tagen davon gelesen, dass wir den Beginn eines neuen Biedermeiers erleben. Der Erfolg von Hipster-Landzeitungen und der Unwille mancher Zeitgenossen gerade der jüngeren Generation, sich mit den wichtigen Fragen der Zeit auseinanderzusetzen, wurden als Beweise für diese These herangezogen. „Und alle Welt vergehet – Eine Biedermeierkritik zum 200. Todestag von Matthias Claudius“ weiterlesen