Die Abgeordnetenhauswahl in Berlin hat gezeigt, dass es eine Mehrheit für eine Rot-Rot-Grüne Koalition geben kann. R2G könnte eine Antwort auf die schwierigen politischen Umwälzungen sein, denen sich Deutschland derzeit stellen muss. Wenn R2G auch im Bund eine realistische Möglichkeit werden soll, müssen die beteiligten Parteien bis zur Bundestagswahl im nächsten Jahr aber noch Hausaufgaben erledigen.
SPD
Der SPD kommt die Aufgabe zu, die Mitte zu verbreitern. Das kann gelingen, indem sie sich an die hervorragende Rede Sigmar Gabriels zum Parteitag 2009 erinnert: Linke Ideen mehrheitsfähig machen und dahin gehen, wo es auch mal schmutzig ist und stinkt. Geeignete Themen wären hier: Vermögens- und Erbschaftssteuer, kontrollierter Freihandel, verantwortliche Außenpolitik und die Auflage eines staatlichen Investitions- und Infrastrukturprogramms, das Arbeit schafft und das Gefälle zu den europäischen Nachbarn verringert.
Flankiert werden können diese Anliegen durch moderate gesellschaftliche Reformen, wie die völlige Gleichstellung homosexueller Partnerschaften mit der Ehe und die steuerliche Förderung von Familien und Bedarfsgemeinschaften anstatt von Ehen. Auch die Forderung nach einer vernünftigen Erhöhung des Mindestlohnes und der Verweis auf die Erfolge, die seit seiner Einführung erreicht wurden, können sicherlich nicht schaden.
Vor allem aber muss die SPD einen Kanzlerkandidaten küren, der bis weit in das CDU-„Wir schaffen das“-Lager hineinstrahlt. Und der gleichzeitig auch bei den Zweifelnden durch Seriosität und Regierungserfahrung Vertrauen weckt. Das kann nur Olaf Scholz sein.
Sigmar Gabriel bliebe das Verdienst, die SPD durch schwierige Jahre geführt zu haben, den ständigen Wechsel an der Spitze der Partei und den Wankelmut der SPD-Führung begradigt zu haben und im richtigen Moment beiseite getreten zu sein. Warum? Weil die politische Situation es nun einmal erfordert und das Wohl von Partei und Land vorgeht. Für Gabriel ließe sich z.B. in der Europäischen Union oder als Minister ein angemessener Posten finden.
Die Grünen
Die schwierigste Übung für die Grünen wird es sein, im richtigen Moment die Klappe zu halten. Weder dürfen sie die konservativen Bürgerlichen verprellen, noch die progressiven Linken. Grüne werden aus einem Lebensgefühl heraus gewählt, nicht aufgrund eines bestimmten Vorschlags zur Steuerreform. Wenn die Grünen das städtische Bürgertum, das einen Tick weiter links steht als die SPD-Wählerschaft – und wenn auch nur dadurch, dass lieber Hummus als Leberwurst gegessen wird -, und die konservative grüne Basis in Baden-Württemberg auch zur Bundestagswahl binden kann, steht einem Ergebnis, das die Regierungsbeteiligung absichert, kaum etwas entgegen.
Die Partei muss vor allem weniger klugscheißerisch auftreten, was sich in der Wahl ihrer Spitzenkandidaten wiederspiegeln sollte: Weniger Schwabentum ist sicher nicht verkehrt.
Die Linke
Die Partei hat sicherlich am meisten Stoff nachzuholen. Aber auch nicht soviel, dass es nicht zu schaffen wäre. Sie muss sich einfach einmal ermannen und die Regierungsbeteiligung als Ziel ausgeben. Für die Partei ist es wahrscheinlich die letzte Chance auf dem Ticket ihrer wegbrechenden Ost-Wählerschaft in Regierungsverantwortung zu kommen. Entweder sie wandelt sich auch im Bund zur linken Regierungspartei an der Seite progressiver Koalitionspartner – die man dann auch nicht aller Nase lang beschimpfen darf, nur weil sie nicht ganz so weit links stehen -, oder sie wird während der Landtagswahlen der nächsten Bundestagslegislatur bedächtigen Schrittes in die Bedeutungslosigkeit abgleiten.
Einzig in der Außenpolitik muss sie Zeichen der Kompromissbereitschaft aussenden. Doch nur soweit, bis klar wird, dass sie auch als Regierungspartei gegenüber Grünen und Sozialdemokraten ein kritisches Korrektiv bleiben kann. Ein grundsätzliches „Ja“ zur NATO und Europäischen Einigung bei Beibehaltung eines deutlichen „Nein“ so neuen Auslandseinsätzen der Bundeswehr muss der Partei zugemutet werden. Allein die Verantwortung für ein solidarisches Europa sollte die Partei dazu befähigen.
Eine andere wichtige – und vielleicht die größte – Aufgabe der Partei besteht in der Aufstellung eines geeigneten Personaltableaus. Dietmar Bartsch kann man sich gut als Minister vorstellen und in der zweiten Reihe der Partei finden sich viele Politiker, die sowohl genug linken Stallgeruch als auch realpolitischen Sinn haben. Allein für Sahra Wagenknecht müsste sich eine gesichtswahrende Anschlussverwendung finden: Vielleicht ja ein Wechsel zurück nach Brüssel?
Die Geschichte
Birgt der Aufstieg der AfD ausgerechnet die Chance auf eine Mitte-Links-Regierung? Ist sie die zeitgemäße Antwort auf die Herausforderungen, die Deutschland und Europa gestellt sind? Wäre es möglich, dass auf die Merkel-Jahre kein Rechtsdrall in der Regierungsarbeit folgt, sondern eine mutige Reformpolitik progressiver Parteien? Europa und Deutschland wäre damit gedient. R2G als wählbare Option weiten Teilen der Wählerschaft schmackhaft zu machen, haben die beteiligten Parteien selbst in der Hand.
Die Verantwortung dafür, dass aus der neuen Stärke der Rechten keine verheerenden Schäden entstehen, müssen alle progressiven Parteien tragen. Aus der Geschichte unseres Landes ist zu lernen, dass eine gespaltene Linke den Forderungen der Zeit nicht entsprechen kann.
Eine Mitte-Links-Koalition aus SPD, Grünen und Linken muss sich nicht in allem einig sein, solange sie die entscheidenden Hürden aus dem Weg räumt, die eine Zusammenarbeit zum Wohle Europas und Deutschlands bisher behindern. Die Bevölkerung ist soweit, auch innerhalb der Regierung Divergenz wertzuschätzen. Das – wenn auch nicht mehr – zeigt das Ergebnis der Wahl in der Berlin ganz deutlich dadurch, dass die Regierungsarbeit in den Augen des Wahlvolks am besten auf mehrere Schultern verteilt werden soll.