Der kiezneurotiker schrob vor ein paar Tagen über seine Zeit als Obdachloser in Berlin. Er schrub das nicht nur als Berichterstattung und er schrub es nicht nur schön und erschütternd wie so häufig, er schrub es, um auf die Situation der Obachlosen im kommenden deutschen Winter hinzuweisen. Ich habe keine biographische Connection zur Obdachlosigkeit, zum Glück. Meine Kontakte mit Obdachlosen sind Wenige und kurz.
Ich finde es zum Beispiel immer wieder gut, wenn Bankfilialen ihre Schalterräume für Obdachlose offen lassen, damit sie die kalte Nacht dort verbringen können. Gelegentlich habe ich die Tür schon aus gleichem Grund offenstehen gelassen. Und weil meine Freunde und ich auch im Winter häufig genug bis spät in die Nacht draußen sind – wie viele feiernde Studenten -, hat das Thema unter uns schon seit ein paar Jahren einen Platz in den Gesprächen gefunden.
Letztes Jahr, als ich einigermaßen betütelt von einem lustigen Abend bei Freunden durch Halle nach Hause lief, begegnete ich einem noch deutlich mehr alkoholisierten Passanten, der unterhalb der Hochstraße ordentlich über die Straßenbahngleise stolperte und dann mitten auf der Straße liegen blieb.
Ich bemerkte aus dem Augenwinkel, dass er von dort auch nicht wieder aufstand. Also ging ich rüber, weckte ihn, half ihm beim Aufstehen. Wir machten es uns auf dem Fußgängerweg gemütlich. Ich versuchte ihm ein Taxi zu rufen. Die Zentrale versicherte mir zwei Mal, dass nun bald jemand käme, um den Mann nach Hause zu fahren. Doch niemand kam. Vielleicht hätte ich nicht erwähnen sollen, dass der Fahrgast alkoholisiert sein würde. Vielleicht hätte auch ich ein wenig nüchterner klingen können.
Nach einer Weile wurde mir die Sache zu bunt und außerdem wollte ich ja irgendwann auch nach Hause. Ich machte mir aber beträchtliche Sorgen, dass der gute Mann mir hier auf der Straße würde einschlafen. Die Nacht war zwar schon fortgeschritten, es war aber auch richtig kalt. Also manövrierte ich den Mann in Richtung Elisabeth-Krankenhaus, das sich nur wenige Meter weiter befindet.
Ich setzte ihn vor der Drehtür auf die Bank, klingelte am Nachtschalter und mir wurde geöffnet. An der Rezeption besprach ich die Lage mit einer besorgten, aber auch vorsichtigen Dame. Sollte sie die Tür für einen offensichtlich stark alkoholisierten Mann öffnen? Sie schien sich nicht recht einig zu werden. Gab es vielleicht Hausregeln zu beachten? Durfte sie den Mann überhaupt herein lassen?
Ich bemerkte ihre Zurückhaltung und verabschiedete mich vorerst von ihr, um nach meiner nächtlichen Bekanntschaft zu sehen. Die Mühe, mit der Rezeptionistin zu sprechen, hätte ich mir sparen können. Er war schon weiter gezogen. Ich habe mich in den umliegenden Straßen noch ein wenig umgesehen, doch er blieb verschwunden.
So, jetzt aber: Die Winternächte können auch in deutschen Städten empfindlich kalt werden – gefährlich kalt für Obdachlose oder Betrunkene, die die Orientierung verloren haben. Egal ob sie sich nun besonders kooperativ verhalten oder nicht: Lasst sie nicht einfach irgendwo zurück! Klar, es gibt auch Obdachlose, die sich aus Gründen nicht helfen lassen wollen. Sprecht sie an, wenn sie Euch deutlich machen, dass ihr nicht helfen sollt, zieht weiter.
In vielen Großstädten gibt es inzwischen Kälte- bzw. Wärmebusse, die man anrufen kann. Natürlich kann man auch die Nummer mit dem Taxi nochmal versuchen, obwohl ich schon das Gefühl hatte, dass das systemisch war. In Halle gibt es eine städtische Notunterkunft, in der man kostenlos übernachten kann und tagsüber lädt die Wärmestube der Stadtmission zu Essen, Trinken und Beratung ein. Eine Zusammenstellung vieler Notfallnummern für Übernachtungen und Kältebusse hat Kilian Aegerter auf tech-lounge.de zusammengestellt. Auch deine Stadt ist da bestimmt dabei! Speicher dir doch eine von den Notrufnummern in dein Handy ein, falls Du diesen Winter in die Verlegenheit kommst, zu helfen.
Sven Dietrich weist auf seinem Blog pop64.com darauf hin, dass es wenig bringt, Kältebussen mit fester Route hinterher zutelefonieren. Er fordert zum Spenden auf und schreibt auch auf, was gebraucht wird.
Den Schluss klau ich mir beim kiezneurotiker: Wenn Sie einen Obdachlosen (oder Betrunkenen) sehen, der offenbar hilfebedürftig ist, dann sprechen Sie ihn an. Helfen Sie. Scheißen Sie darauf, ob er stinkt. Ist der Obdachlose nicht ansprechbar, dann rufen Sie einen Krankenwagen: 112. Lassen Sie bitte niemanden erfrieren.