tl;dr
Ziemlich viel Bohei um einen freien Tag, solange er nicht wirklich als Brücke ins Neue verstanden wird.

Twitter
Als Student bekomme ich  nicht mehr richtig mit, wenn sich Schüler über einen Brückentag freuen. Einen extra Ferientag, ein verlängertes Wochenende. Ich habe heute Morgen auf Emails gewartet, jedenfalls solange bis ich gegen 11 Uhr das erste Mal bei Twitter vorbeischaute und feststellte, dass wohl nicht nur Schüler sich über den Brückentag freuten. Ich war eigentlich sogar überrascht, wie begeistert der extra freie Tag aufgenommen wurde. Ich meine, es ist ja nicht das erste Mal. Deutlicher nur noch die Äußerungen derjenigen, die offenbar arbeiten mussten.
[tweet https://twitter.com/Vinylmensch/status/386141172881956865]

Noch zufrieden?
Ich freue mich für jeden, der mal ein paar Tage am Stück ausspannen kann. Aber das ist es nicht, was mich zum Nachdenken brachte. Was soll ein Brückentag denn sein, so im Idealfall? Ein Tag zwischen zwei freien Tagen oder ein Übergang woanders hin? Wohin dann?

Wünschen sich diejenigen, die arbeiten mussten, wirklich woanders hin? Weil es nervt, dass andere währenddessen frei haben, oder weil die eigene Beschäftigung unerträglich ist? Und diejenigen, die scheinbar dringend eine Pause brauchten: wollen sie am Montag freudig zurückkehren zu dem, was ihnen doch offenbar nicht gefällt?

Noch zufrieden, Deutschland?
Gestern war ja unser Nationalfeiertag. Das Twitter-Rauschen dazu habe ich an mir vorbeigehen lassen. Weder für neo-nationalistische, noch für pessimistische Töne hatte ich Muße. Das was mich an Gedenktagen generell stört, ist ihre Rückwärtsgewandheit. Eine Form mehr oder weniger pathologischen Vergangenheitsfetischismus‘. Wohin führt uns das? Was wäre denn das Ergebnis, würde man an einem Brückentag über die Zukunft Deutschlands nachdenken?

Führt unsere Brücke nach Europa oder wollen wir den Rohbau wieder einreißen? Man muss Gauck an dieser Stelle zustimmen: wichtiger als eine Rückkehr in den Friede-Freude-Biedermeier ist die zukünftige Verantwortung dieses Landes. Für wen wollen wir verantwortlich sein? Die Frage nimmt uns die Realität wohl ab. Denn unsere Verantwortlichkeit kann nicht an unseren Grenzen enden, nicht an denen Deutschlands, nicht an den europäischen. Nach dem Schiffsunglück vor Lampedusa, nur dem aktuellsten einer ganzen Reihe ähnlicher Tragödien in den letzten Jahren, sprechen viele von einer Schande für Europa. Sie haben Recht. Aber wo bauen wir Brücken in ein besseres Leben auch für diese Menschen? Oder für diejenigen, die schon heute unter uns leben?

Noch zufrieden, Wähler?
Heute sondierten CDU/CSU und SPD zum ersten Mal nach der Bundestagswahl eine mögliche Große Koaliton. Die Umfragen spiegeln wieder, dass die meisten Menschen in unserem Land sich diese Koalition wünschen. Euch einen herzlichen Glückwünsch! Die meisten Bürger werden sich in den nächsten vier Jahren wieder zurücklehnen und die politische Verantwortung dort belassen, wo sie so kurz nach der Wahl wieder angekommen ist, bei den Küngelrunden in Berlin. Wo bauen wir Brücken zu mehr Transparenz und Verantwortlichkeit vieler Menschen?

Wie ich waren auch andere Menschen schlicht entsetzt, dass CDU/CSU in der Lage waren, ein solches Wahlergebnis einzufahren. Die Anwort auf die Frage nach dem „Wie?“ heißt Angela Merkel. Ich finde das ehrlich kein gutes Zeichen für unsere parlamentarische Demokratie. Wenn das Wahlvolk eine Person wählt, statt eine Partei oder einen entsprechenden Direktkandidaten, dann hängt hier irgendwas schief. Ob es meine persönliche Erwartungshaltung ist oder das politische Denken mancher Zeitgenossen, das zu entscheiden, überlasse ich euch.

[tweet https://twitter.com/NeinQuarterly/status/380366775319539712]

Noch zufrieden, „Netzgemeinde“?
Das bringt mich zum letzten „Noch zufrieden?“. Das Wundenlecken der „Internetbewegung“ in den Tagen seit der Wahl nahm teilweise shakespeareske Züge an. Da wurde sich verwundert und resignierend zur Kenntnis genommen, dass dieses Land so ist wie es ist. Da wurde den Piraten das endgültige Grab geschaufelt. Da wurde abermals und immernoch und erst richtig beklagt, dass ja niemand außerhalb der netzpolitischen „Filterbubble“ zur Kenntnis nehmen will, dass unsere Grundrechte im großen Stil missbraucht werden. Alles richtig, alles rückwärtsgewandt. Was bringt das Einsehen, in einer Filterbubble gefangen zu sein, ohne den Versuch aus ihr auszubrechen? Wo könnte man mit dem Brückenbau beginnen? Oder lassen wir es ganz? Geht da noch was, We gotta stay positive? „Der weitere Weg zur digitalen Gesellschaft ist mit sehr schwarzem Asphalt geteert.“ (Lobo) Auch auf schwarzen Asphalt lässt sich gehen.

Noch zufrieden? Reprise
Wer unzufrieden ist, sollte an den Umständen, die zu seinem Unglücklichsein beitragen, etwas ändern. Da bin ich mal ganz Marxist: Das Sein bestimmt das Bewusstein. Nicht umgedreht. Zu denen, die sich mit bunten Gedanken begnügen wollen, möchte ich mich jedenfalls nicht zählen.