Ich dachte eigentlich: Kinder und Kirche, das Thema ist durch. Wurde darüber nicht in aller Breite seit den 70er-Jahren diskutiert? Hat sich Kirche nicht inzwischen so ausdifferenziert, dass sich die betroffenen Mileus nicht mehr aneinander reiben müssen?
Vielleicht lag meine Überzeugung, Kinder und Kirche sei kein Thema mehr, auch daran, dass sich mir die Frage biographisch nicht stellte. Haste selbst kein Kind und bist in der Wahrnehmung kirchlicher Angebote frei und flexibel, dann berühren dich die Probleme der Kinder, Eltern und der restlichen Gemeinde mit diesem Thema nicht. Kindern in der Kirche kann man, wenn man will, vorzüglich aus dem Weg gehen.
Liegt es also daran, dass wir jetzt selbst ein kleines Kind haben oder ist die Kirche mit Kindern wirklich wieder „problematisch“ geworden? Problematisch in dem Sinne, dass wieder neu darüber nachgedacht werden muss, wie das zusammengehen kann: Kinder und Kirche?
Vor ein paar Wochen gab es da den Text der Gardinenpredigerin, der reichlich herumgereicht wurde. Die Autorin beklagte vor allem Familiengottesdienste, also Gottesdienste, die in Erwartung der Teilnahme von vielen Kindern, anders gestaltet werden als übliche Sonntagsmessen oder -Gottesdienste. Die Gardinenpredigerin hat das alles humorvoll aufgeschrieben, so dass ich über den ernsten Tonfall der Kommentare überrascht war. Das Thema scheint viele Menschen regelrecht zu agitieren. Ein Verweis darauf, dass heftige Gefühle im Spiel sind.
Gleich mehrere Beiträge in den letzten Wochen beschäftigten sich mit der Praxis der Erstkommunion bei den katholischen Geschwistern. Mir war bis dato nicht bewusst, dass die so in Frage gestellt gehört. Unter dem Titel „Erstkommunion? – Rette sich wer kann!“ schrieb ein katholischer Blogger zum Beispiel über eine, in seinen Augen gar nicht so schlechte Erstkommunionsfeier. Er fragt sich vor allem, was das bringen soll, kirchenunerfahrene und -ungeübte, mäßig interessierte Kinder aus kirchenfernen, mäßig interessierten Familien durch die Erstkommunion zu schleppen?
Den grundsätzlichen Wert, auch solche Kinder (und Familien) miteinzubeziehen, bestreitet er nicht, trotzdem kriegen die Eltern noch eine Schelle mit und auch die Kommunionsvorbereitung kommt schlecht weg. Diese würde eben viel zu wenig auf den Ernst der Sache und das richtige liturgische und theologische Verständnis der Kommunion abheben.
Diese Woche dann in der F.A.Z. ein Artikel von genau so einer Mutter, die vom katholischen Bloggerkollegen und von zahlreichen Kommentaren beklagt wird. In ihrem „Das Kreuz mit den Kindern und der Kirche“ überschriebenen Artikel schreibt Ursula Kals über ihre Schwierigkeiten mit „ihrer“ katholischen Gemeinde. Sie begleitet ihren Sohn gerade zur Erstkommunion und so richtig funktioniert das für sie nicht.
Und dann wäre da Hannas Absage an die Konfirmation in der Christ & Welt, die in meiner Filterblase Anlass zu weitläufigen Diskussionen gegeben hat. So weitläufig, dass es irgendwann um die Familienplanung des (zukünftigen) Kirchenpersonals ging und die Vermutung zumindest im Raum stand, dass sich die „digitale Elite“ und die „familienplanerisch Besorgten“ unter den Jüngeren weniger zu sagen haben. Dit stimmt schon mal nich: Man kann ja gut beides sein.
In vielen Beiträgen (auch den vier hier ausgewählten) werden höchst unterschiedliche Fragen aufgeworfen: Wie läuft das mit Kindern im „normalen“ Gottesdienst? Braucht es eine kindgerechte Verkündigung, braucht es den Kindergottesdienst abseits der Erwachsenengemeinde? Muss die Restgemeinde die Kinder im Gottesdienst ertragen und/oder wertschätzen lernen? Wo sind die Kinder besser aufgehoben? Wie können Gottesdienste mit Familien besser werden? Wie können Kommunionsvorbereitung und Konfirmandenarbeit Schritt halten vor allem mit Familien, die die religiöse Bildung und Erziehung ihrer Kinder aus unterschiedlichen Gründen allein der Kirche überlassen (müssen)?
Es dreht sich überhaupt viel um die Familien, da scheint ein erheblicher Teil des Problems zu liegen und deshalb auch reichlich Potential für Lösungen verborgen. Manch Kirchentreuer scheint es denn kirchendistanzierten Eltern zu verübeln, dass sie ihre Aufgaben in Richtung Kirche „outsourcen“. Und diese Eltern scheinen beim Kontakt mit Kirchens schlicht überfordert, auch weil dort Verbindlichkeit und Regelkonformität eingefordert werden, die anderswo völlig unüblich geworden und scheinbar nur schwer zu akzeptieren sind.
Wenn also beide Seiten (ich sag das mal der Einfachheit halber, in der Realität gibt es natürlich einen größeren Pluralismus der Überzeugungen, Erfahrungen, Einstellungen etc.) irgendwie unglücklich sind, wie es mit den Kindern und der Kirche läuft – die Kirchenpeople mit und ohne Kind und die Eltern, die wegen ihrer Kinder (wieder-)kommen – dann scheint wirklich was im Argen zu liegen.
Mir fallen dazu vorerst ein paar Dinge ein:
1. Ob die Kirche mit Kindern als problematisch wahrgenommen wird, ist (s.o.) eine Frage der eigenen biographischen Situation. Hat man selbst Kinder, ist es auf einmal wichtig. Hat man keine oder keine kleinen Kinder mehr, ändern sich die Bedürfnisse und, logisch, auch die Erwartungen, die an Kirche herangetragen werden.
Klingt nach einer Binse, aber hat Konsequenzen: Es heißt nämlich, dass in einer Kirche, die sich nicht als Serviceagentur versteht, sondern dem Priestertum aller Gläubigen verpflichtet ist, die Lösung bei den Eltern selbst zu suchen ist. Nicht, indem man sie sich selbst überlässt. Doch in dem Sinne, dass mit den Eltern vor Ort nach ihren Bedürfnissen und Wünschen geforscht werden muss. Dann kämen unterschiedliche Gemeinden auch zu sehr vielen unterschiedlichen Lösungen. So viel Pluralismus dürfen wir uns gönnen.
Wie kann man, gerade kirchendistanzierte, Familien so begleiten, dass sie zu Partnern werden? Ich dachte bisher, dass dies im Diktum „über die Kinder an die Eltern rankommen“ schon ausreichend ausgedrückt wäre, doch muss das vielleicht wieder neu ins Zentrum gestellt werden. Allein mit Elternabenden zum Kommunions-, Firm- oder Konfirmationsunterricht ist es nicht mehr getan. Was die Konfirmanden mit ihren Stempelkarten „leisten“ müssen, muss seine Entsprechung in den Familien finden.
Ohne das Ehrenamt und gerade die Erfahrung von Eltern, die das alles schon „hinter sich“ haben geht es nicht. Familienpastoral geht von Familien aus und kann nicht den Hauptamtlichen überlassen werden, soll sie gelingen. An den Hauptamtlichen ist es dann wohl gelegen, die Bemühungen theologisch zu orientieren (also nicht „Sonne, liebe Sonne“, sondern „Meinem Gott gehört die Welt“).
2) Kirche muss sich nicht unter Wert verkaufen. Aller Problematisierung zum Trotz kommen viele Menschen nicht umsonst mit ihren Kindern zur Kirche. Sie erwarten Sinnvolleres als anderswo. Das zeigt doch schon mal eine Wertschätzung gegenüber Kirche an, die es wahrzunehmen gilt. Deshalb dürfen Kinder- und Familienangebote der Kirchen nicht verflachen oder unverbindlich gestaltet sein.
Die Kirche darf Ansprüche stellen. Nicht nur was die Verbindlichkeit von Terminen angeht, auch wenn die mit dem bisherigen Familienleben schwer zu vereinbaren sind (Gottesdienstzeiten), sondern vor allem was das Niveau der kind- und jugendgerechten Verkündigung angeht. Bei Kirchens werden die großen Themen verhandelt und die sind Kindern und ihren (manchmal zu besorgten) Eltern zumutbar. Wenn statt Christenlehre oder Konfirmandenunterricht, Spielestunde und Jugendclub stattfinden, womit speisen wir dann die ab, die doch „hungrig“ kommen?
3) Kinderlose und Familien mit Kindern müssen sich ertragen lernen. Ich glaube sogar, dass dies das geringste Problem ist und in den letzten 50 Jahren wirklich viel passiert ist! Und Kirche darf auch Räume und Zeiten haben, die Erwachsenen und ihren Bedürfnissen vorbehalten sind.
Als wir vor zehn Jahren mit dem sonntagabendlichen Taizé-Gebet in Heilig-Geist begannen, habe ich (19 Jahre alt, kinderlos) ein junges Elternpaar nach dem Gebet darauf angesprochen, warum sie ihr Baby denn dabei hätten. Nicht, dass es den Rest der Anwesenden gestört hätte, aber die Andacht der Eltern schon. Ich habe freundlich darauf hingewiesen, dass die Taizé-Andacht am Sonntagabend 20 Uhr von der Stille und Andacht lebt, die ein Kleinkind wenig goutieren und erst recht nicht teilen kann. Ich habe dafür geworben, den einen Abend im Monat mal bewusst „frei zu nehmen“ und ohne Kind etwas für sich und die eigene Seele zu unternehmen. Die beiden haben für die weiteren Taizé-Gebete einen Babysitter organisiert und sind zu den treusten Teilnehmern geworden.
Was ich sagen will: Zielgruppenorientierung heißt nicht nur, Räume für Familien zu schaffen, sondern Räume für Kinder, Eltern und Jugendliche und Erwachsene ohne Kinder. Eltern sind auch Erwachsene und sollten nicht nur in ihrer Elternrolle adressiert werden.
4) Kinder haben ein Recht auf Kirche ohne (eigene) Eltern. Familienangebote stehen immer in der Zwangslage, etwas für Kinder und Eltern bieten zu müssen. Warum eigentlich? Was meinem Kind angemessen ist, muss es für mich nicht sein. Ich will auch jetzt mit eigenem Kind nicht mit „Kinderpredigten“ abgespeist werden, in denen es, statt um die großen Fragen, darum geht, Magnete in die Luft zu halten („So verbindet uns der Herr Jesus“). Kirche muss nicht an einem Ort, zu jeder Zeit, alles allen sein.
Als Kinder sind meine Schwester und ich ohne meine Mutter in den Kindergottesdienst gegangen und, Überraschung!, von dort pünktlich zum Abendmahl unversehrt (!) wieder zur Erwachsenengemeinde gestoßen. Christenlehre und Konfirmandenunterricht fanden ohne Eltern statt. (Na gut, meine Mutter hat Kinderrüstzeiten von uns begleitet, aber wir wussten, dass sie als Begleitperson aller mitfuhr, nicht als unsere Bezugsperson.) Unsere Bezugspersonen waren unsere Katechetin, die anderen Kinder (!) und ab und zu ehrenamtliche Jugendliche und Erwachsene (im Kindergottesdienst, bei Kinderbibeltagen).
Wir sind so in eine generationenübergreifende Gemeinschaft hineingewachsen, die selbstverständlich Platz für Kinder hatte, in der sich auch „Fremde“ nach den Kindern umdrehten und sich interessierten. In der aber auch klar war, wo Kinder jetzt eben mal keinen Platz haben. Kirche ist so für mich zu einem meiner Orte geworden, nicht zu dem Ort der Eltern, die uns da irgendwohin mitnehmen.
5) Ich habe manchmal das Gefühl, dass das projekthafte und zielstrebige Handeln der Eltern mit und an Kindern, das scheinbar gerade modern ist, sich ungut auf das Feld kirchlichen Handelns ausbreitet. Vielleicht wird auch deshalb wieder mal die Kinderkirche auf den Prüfstein gestellt und gefragt, wie eine kindergerechte Kirche aussehen kann? Erwachsene wollen mal dies oder jenes von der Kirche für ihre Kinder. Das ist alles gut und schön. Aber was will die Kirche für Kinder? Kinderkirche heißt für mich, Kinder sein zu lassen. Es geht nicht darum, es Erwachsenen recht zu machen, sondern Kindern gerecht zu werden.
Ne, es heißt doch so schön „Lasst die Kinder zu mir kommen!“ und nicht „… aber nur in Begleitung eines Elternteils und mit guten Ratschlägen.“ Wer genau die Kinder bringt, bleibt im Markusevangelium erfreulich offen. Darum geht es nicht. Lasst Eure Kinder los und ihnen die Freiheit, ihre Kirche zu leben, statt ihnen überall hin hinterher (oder vorneweg) zu latschen.
Kinder finden sich schon ganz gut allein zurecht, wenn man ihnen kompetente Partner und andere Kinder beigesellt. Kirche war für mich immer zuerst eine Gruppe ungefähr gleichaltriger Kinder- bzw. Jugendlicher. Wir waren uns Kirche. Und so war meine Kirche nebenbei immer da, wenn sich in meinem Leben etwas getan hat. Meine Kinderkirche und ich, wir sind gemeinsam erwachsen geworden.