Auskommentiert

Internet_Troll_velu_ill_artlibre_jnlDie Kommentare werden dicht gemacht. Auf deutschen Nachrichtenseiten, Vorreiter ist die Süddeutsche Zeitung, aber auch bei Youtube und auf vielen Blogs kann nicht mehr (anonym) kommentiert werden. Damit steht für viele der Charakter des Internets als freie Beteiligungsgesellschaft, für manche sogar die Meinungsfreiheit auf dem Spiel. Es hat sich auskommentiert.

Nachrichtenanbieter verstehen sich auch online immernoch vor allem als Einbahnstraße. Im Mittelpunkt des (Geschäfts-)Interesses steht, die neuesten Nachrichten und eigene journalistische Inhalte an die Nutzerin zu bringen. Da fällt die Sorge um die Community, das Aussieben unnützer und potentiell gefährlicher Kommentare schwer. Es kostet Zeit und Geld. Geld, das die Verlage nicht haben. Deshalb verlagert als erste deutsche Nachrichtenseite Süddeutsche.de die Kommentare fast vollständig in die Sozialen Netzwerke. Es ist sehr wahrscheinlich, dass bald weitere Wettbewerber diesem Beispiel folgen werden.

Diskussion nur noch auf Facebook, Twitter & Co.
Der Chef von ZEITonline Jochen Wegner kritisierte dieses Vorgehen hart. Ihm stößt vor allem auf, dass die für die Meinungsvielfalt wichtigen Diskussionen an Facebook & Co. delegiert werden. Man kann dieses Argument gut verstehen, werden die Social-Media-Anbieter doch häufig kritisiert; nicht nur, aber besonders für ihren Umgang mit dem Datenschutz. Ausgerechnet ihnen die Demokratisierung der Informationen anzuvertrauen, ist vielleicht nicht die beste aller Ideen.

Doch die Nachrichten-Seiten sind nicht die Einzigen, die auf Kommentare ihrer Nutzer verzichten. Viele Youtuber lassen unter ihren Videos keine Kommentare mehr zu. Zwar fällt dadurch die einfachste Feedback-Möglichkeit weg, anderseits muss man sich nicht mit den in der Mehrzahl niveaulosen, beleidigenden Kommentaren beschäftigen, die nicht selten an oder über der Grenze des in Deutschland gesetzlich Zulässigen formuliert sind.

Und schon seit Jahren verzichten vor allem weibliche Blogger auf Kommentarspalten auf ihren Seiten. Die pure Menge an idiotischen, sexistischen Kommentaren ist ihnen unzumutbar geworden. Der wirksamste und einfachste Schutz vor solchen Grenzüberschreitungen ist das Abschalten der Kommentarfunktion, auch wenn das zu Lasten des Austauschs mit den eigenen Lesern geht.

Gretchenfrage aller Internet-Schreiberlinge
Leute, die ins Internet schreiben, müssen sich früher oder später mit der Frage auseinandersetzen, wie sie es mit den Beiträgen ihrer Leser halten. Vor allem, wenn es ihnen, anders als den Nachrichtenverlagen, darum geht, keine Einbahnstraße zu befahren, sondern den Austausch mit anderen Menschen zu suchen.

Wenn es – wie hier auf theologiestudierende.de – vor allem um den gegenseitigen Meinungsaustausch, das kollektive Nachdenken, vielleicht sogar das gemeinsame Lernen geht, führt an der Kommentarmöglichkeit kein Weg vorbei, oder? Kommentare verwalten, d.h. lesen, freischalten, beantworten; das kostet auch auf dem eigenen Blog und hier bei theologiestudierende.de Mühe und Zeit. Auch wenn die Arbeit ehrenamtlich erledigt wird.

Übrigens geht es dabei gar nicht um die Gewährleistung der Meinungsfreiheit. Die bedeutet nämlich nicht, dass man überall und zu jeder Zeit eingeladen sein muss, den eigenen Senf dazu zu geben. Die Meinungsfreiheit besteht nach wie vor. Jede kann sich heute ohne große technischen Schwierigkeiten einen eigenen Blog einrichten oder in ihr Social-Media-Profil reinklecksen, was sie will. Nur trägt sie dann im Zweifelsfall selbst die rechtliche Verantwortung für das Geschriebene.

Edel sei der Mensch …
Eigentlich ist es doch so: Wären die Kommentare allesamt hilfreich und gut, würde niemand das (anonyme) Kommentieren in Frage stellen. Es sind Trolle und Spammer, gewaltbereite Kommentatoren, Hetzer, Sexisten, Rassisten und sonstige Idioten, die den Austausch im Netz kaputt machen. Nicht nur, aber besonders in den Kommentarspalten.

Diese Scheiße rauszufiltern vermag kein Algorithmus, das müssen wache Leserinnen und Nutzer selbst übernehmen. Am besten dadurch, dass sie selbst kluge und hilfreiche Kommentare beitragen, die es an Respekt vor dem Gegenüber nicht mangeln lassen. Das Scheitern an diesem hohen humanistischen Ideal muss man vielleicht ertragen lernen. Schlechte Kommentare gehören zur Kontingenz des Netzes.

Jede Nutzerin kann entscheiden, die Kommentare unter Artikeln und Videos zu ignorieren. Nicht wenige machen das schon heute konsequent. Das stellt auch keine Gefahr für die Meinungsfreiheit dar. Doch vielleicht entgeht mir ja so doch ein wichtiger Widerspruch gegen das Geschriebene, eine gute Lektüreempfehlung oder nur eine lustige Anmerkung. Ach, die Kommentare, so ganz missen will ich sie nicht. Sie könnten halt nur besser werden.


Dieser Artikel erschien am 22. September 2014 als Teil der wöchentlichen Kolumne „Moment mal“ auf theologiestudierende.de .