Die Blasenschwäche der AfD

Zumindest beim SPD-Chef und Kanzlerkandidaten Martin Schulz hat die bekannte AfD-Strategie der Provokation gefruchtet. Nachdem am Wochende der niedersächsische AfD-Landeschef Armin Hampel auf dem Bundesparteitag der Partei in Köln von seinen Parteigenossen den Kirchenaustritt verlangte („In dem Verein sollte keiner von uns mehr Mitglied sein.“), empörte sich Schulz darüber in einem offenen Brief an den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz Reinhard Marx und den Ratsvorsitzenden der EKD Heinrich Bedford-Strohm. So weit so vorhersehbar.

Ansonsten hatte sich die Empörung über den Kirchenaustrittsaufruf in engen Grenzen gehalten. Sattsam bekannt sind die antiklerikalen und kirchenfeindlichen Einstellungen vieler AfDler. Dass die Partei ein Problem mit Kirchen hat, die die AfD für unvereinbar mit dem christlichen Glauben halten, einer Mitarbeit von AfDlern in Kirchenvorständen skeptisch gegenüber stehen und sich vehement für das Kirchenasyl und das Wohlergehen der Flüchtlinge im Lande einsetzen – wenig überraschend.

Bisher war es vor allem Beatrix von Storch, die sich qua eigenem religiösen Fundamentalismus gegen die Kirchen wandte. Sie ist der Leitstern der „Christen in der AfD“, die mit der AfD die Erfüllung ihrer teilweise reaktionären politischen Agenda gekommen sehen. Dass diese deutsche Tea-Party-Bewegung im Kern anti-institutionell ist, auch das ist wenig überraschend und wird in den kirchlichen Amtsstuben des Landes niemanden wundern.

Blasenschwäche

Hampels Kirchenaustrittsforderung und die euphorische Reaktion des Parteitagspublikums darauf, ist vor allem deshalb bemerkenswert, weil sie Zeugnis ablegen von einer erstaunlichen Blasenschwäche der AfD. Die Partei, die für sich in Anspruch nimmt, ihre Ohren näher am Volk zu haben, den stillen Wünschen der Mehrheit zu entsprechen, erstickt – nicht nur bei diesem Thema – in ihrer eigenen Filterblase. Hampels Aufruf zeugt von einer unangenehmen Hybris , wie sie vor allem Sektenmitgliedern und Weltuntergangspredigern eigen ist. Für wie bedeutend hält Hampel seine Partei?

Nur mal so zum Vergleich: Die AfD hat ca. 25 000 Mitglieder. Die evangelische und röm.-kath. Kirchen kommen zusammen auf 46 000 000 Mitglieder. Das sind nicht nur drei Nullen mehr. Stellt man die Zahlen einander gegenüber, wird es wirklich schwer, die AfD-Mitglieder überhaupt zu erkennen.

Jetzt kann man natürlich einwenden, dass nicht jedes Kirchenmitglied gleichermaßen engagiert am Leben der Gemeinde teilnimmt. Mal abgesehen davon, dass es auch unter den AfD-Mitgliedern unterschiedliche Modi des Engagements geben dürfte, ein nicht ganz von der Hand zu weisendes Argument. Wir bräuchten also einen Marker für Beteiligung, der irgendwie messbar ist.

Wie wäre es mit dem Gottesdienstbesuch: Wir wissen, dass die Christen hierzulande nicht zu den fleißigsten Gottesdienstbesuchern zählen, trotzdem besuchen gut 800 000 Menschen jeden Sonntag einen evangelischen Gottesdienst, auf röm.-kath. Seite ist die Zahl mit 2,5 Millionen noch erheblich höher. Über 3 Millionen Menschen besuchen den Sonntagsgottesdienst.

Zum Vergleich: Bei der letzten Bundestagswahl erhielt die AfD 2 056 985 Zweitstimmen. Bei allen Landtagswahlen seitdem hat die AfD zusammen 2 443 748 Stimmen erhalten. Es gehen also jeden Sonntag mehr Menschen in einen Gottesdienst, als die AfD seit 2013 Wählerstimmen gewinnen konnte. Die zahlreichen Andachten und Gottesdienste, die beide Kirchen in Altersheimen und Pflegeeinrichtungen durchführen, und Kasualgottesdienste wie Beerdigungen und Hochzeiten sind da noch gar nicht berücksichtigt.

Die Kirche im Dorf lassen

Was das Verhältnis der AfD zu den beiden großen Kirchen angeht, ist jede Aufregung fehl am Platz. Es deutet zum Beispiel nichts darauf hin, dass die wenigen AfD-Mitglieder in ihren Gemeinden und Kirchen überdurchschnittlich engagiert auftreten.

Noch im Juni 2016 berichtete Johannes von Eltz, röm.-kath. Stadtdekan in Frankfurt a. M., auf einem Podium, dass er mit der AfD in seinen kirchlichen Ämtern bisher noch überhaupt nichts zu tun hatte. Wohlgemerkt, die AfD sitzt in Fraktionsstärke in der Stadtverordnetenversammlung.

Zu den an einer Hand abzuzählenden Einzelfällen, in denen es zu Konflikten mit AfDlern gekommen ist, die in irgendein Wahlgremium der Kirchen einrücken wollten und ihre Parteimitgliedschaft offen legten, kommen jetzt auch nicht gerade stündlich weitere hinzu.

Gerade im vielgescholtenen Ostdeutschland gibt es aus naheliegenden Gründen kaum Überschneidungen von engagierter AfD-Mitgliederschaft und Kirchenvolk. Die AfD hat in den neuen Bundeländern je nur wenige Hundert Mitglieder, ihre Personaldecke ist so überspannt, dass zur kommenden Bundestagswahl reichlich Parteimitglieder kandidieren, die in den letzten Jahren schon in Landesparlamente eingezogen sind. Alexander Gauland und Frauke Petry sind dafür nur die prominentesten Beispiele. Und die engagierten Kirchenleute im Osten haben flächendeckend anderes zu tun, als sich um die nächste deutsche Revolution zu sorgen.

Wie es sich vor Ort zum Beispiel in den Kirchen in Baden-Württemberg verhält – einem Bundesland in dem die AfD bei der Landtagswahl immerhin 800 000 Stimmen erhalten hat – steht auf einem anderen Blatt.

Dort rekrutiert sich die AfD zu einem nicht unerheblichen Teil aus der #idpet-Bewegung. Die Frage ist, wie jene Christen ihre Bindung zur Kirche bisher ausgestaltet haben. Meine Vermutung ist, dass es sich bei den „Christen in der AfD“ vor allem um solche handelt, die ihren Kirchen schön länger kritisch gegenüber stehen. An sie richten sich die Fragen, die ich vor längerer Zeit schon aufgeschrieben habe.

Abschied vom konservativem Mainstream

Was die Blasenschwäche der AfD allerdings für ihre Verankerung im konservativen Mainstream des Landes bedeutet, ist leicht auszumachen. Allen, denen daran gelegen ist, die Kirche im Dorf zu lassen, ist mit einem Kirchenaustrittsaufruf nicht gedient.

Die Kirchen sind vielerorts Gemeinschafts- und Kulturstifter, gerade in solchen Regionen, aus denen sich viele andere Institutionen schon längst zurückgezogen haben. „Die Kirche im Dorf lassen“ kann man auch mal wörtlich nehmen: Niemand sonst investiert in den Erhalt von Kirchen und den Denkmalschutz so viel wie die beiden großen Kirchen. Vom landesweiten Netz an Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern und Alten- und Pflegeheimen brauchen wir gar nicht erst zu sprechen.

Indem die AfD ihren Mitgliedern anempfiehlt, sich ihrer Kirchenmitgliedschaft zu entledigen, bewegt sie sich aus dem konservativen Mainstream hinaus, den sie doch vorgibt zu vertreten. Es stellt sich vor allem die Frage, wie viele der sonst üblichen konservativen Protestwähler sie durch derlei Abgrenzung verschreckt, sollten jede nicht schon durch die Performances der AfD-Fraktionen in den Landesparlamenten ausreichend gewarnt sein.

Ein Wort zur Kirchensteuer

Kein Kirchenaustrittsaufruf ohne Thematisierung der Kirchensteuer. Noch einmal: Ja, der Staat sammelt für die Kirchen von den Kirchenmitgliedern Kirchensteuer ein. Das läuft automatisch mit der Lohn- oder Kapitalabrechnung. Die Kirchensteuer ist freiwillig, der Kirchenaustritt wahrlich einfach genug. Wer nicht zahlen will, muss nicht.

An der Kirchenmitgliedschaft hängen hauptsächlich Kasualien wie Trauung und Beerdigung. Wer also auf eine kirchliche Trauung und Beerdigung verzichten kann, der mag gehen. Niemand wird beim Abendmahl gefragt, ob er auch fleißig Kirchensteuer gezahlt hat.

Und übrigens: Der Fiskus lässt sich für den Kirchensteuereinzug entlohnen. So gut, dass kein ernstzunehmender Finanzpolitiker sich vom Kirchensteuersystem verabschieden will. Aber ernstzunehmende Finanz-, Wirtschafts- und Sozialpolitik betreibt die AfD – siehe Wahlprogramm zur Bundestagswahl – ja nicht.

Linker Reflex

Darüber hinaus ist es fast schon amüsant, wie selbstverständlich und ohne mit dern Wimper zu zucken sich die AfD, die sich als rechte Partei versteht, linker Denkmuster bedient. Dass das Private politisch sei, ist jedenfalls eine alte linke Forderung. Auch die Kategorienverwechslung – Parteimitgliedschaft hier, Kirchenmitgliedschaft da – spricht Bände, was das Abstraktions- und Differenzierungspotenzial des AfD-Personals angeht.

Hampel und andere malen ein Bild, dass vom Widerstreit der Kirchen gegen die AfD handelt. Ohne dieses Bild der widerständigen Minderheit, die sich einem verblendeten System zu erwehren hat, funktioniert die AfD-Rhetorik nicht. Die AfD geriert sich (nicht nur hier) wie die kleine Schar der Anständigen, die der Welt die Wahrheit zu bringen hat.

Wahlweise findet man solche Muster in engen religiösen Gemeinschaften oder in der stalinistisch geprägten Linken. Das Revolutionskollektiv AfD entfernt sich immer mehr von dem Volk, dem es eine Stimme zu geben meint.

Ein untrügliches Zeichen dafür ist ihre Hybris. Ein großer Teil der AfD scheint tatsächlich zu glauben, man befände sich auf dem Weg zur nationalen Revolution und alle Welt hätte nur auf sie gewartet. Wählerstimmen muss man sich erarbeiten, die kann man sich nicht dauerhaft herbeibrüllen.

Eine Zahl zum Schluss: Verdoppelte die AfD bei der kommenden Bundestagswahl ihren Stimmanteil bei gleichbleibender Wahlbeteiligung, käme sie auf gut 4 Millionen Wählerstimmen. Das entspricht so ungefähr der Zahl der Ehrenamtlichen, die sich seit dem Sommer 2015 in der Flüchtlingshilfe der Kirchen engagiert haben.


Kommentare

2 Antworten zu „Die Blasenschwäche der AfD“

  1. Warum kommt von Ihnen kein Wort zu den evangelischen / evangelikalen Freikirchen?

    Während sich besonders die evangelische Staatskirche als Wurmfortsatz der GrünInnen zu verstehen scheint, zumindest was politische Fragen angeht, geht es in der Freikirchen in der Regel um die bibeltreue Verkündigung der Frohen Botschaft.

    Politik ist davon getrennt. Denn Sein Reich ist nicht von dieser Welt.

    Unter den Mitgliedern der Freikirchen gäbe es, wenn man nur deren Wählerstimmen vergliche, wahrscheinlich eine mindestens relative Mehrheit für die AfD!

    Leider hat sich auch die katholische Kirche vom herrschenden Politbetrieb auf Linie bringen lassen – und stößt ins gleiche Horn, die AfD zu dämonisieren und ihren Kundgebungen das Licht abzudrehen.
    Ein wichtiger Grund ist wohl auch die Zugehörigkeit der Kirche(n) zur Asylindustrie: Sie profitieren eindeutig davon, wenn immer mehr zu Betreuende ins Land strömen. Da ist einem das Hemd des eigenen Profits näher als der Rock der Folgen für dieses Land.

    Herr Hampel hat übrigens auch bekannt, weiterhin gläubig zu sein, trotz seinem Kirchenaustritt.
    Vergessen hat er leider, die Existenz der Freikirchen zu erwähnen (sowie wohl für sich in Betracht zu ziehen), wo der Glaube nicht selten noch ernster genommen wird als in den grünlichen Amtskirchen der Bunten Republik Schland, die nicht selten sogar den Islam fast eher noch zu fördern scheinen als das Wort des Herrn Jesus Christus, Gott sei’s geklagt!

    1. Avatar von Philipp Greifenstein
      Philipp Greifenstein

      Dazu nur zwei Dinge:

      1) Es ist ja nicht so, dass von mir zu den Evangelikalen „kein Wort“ kommt. Nur halt nicht in diesem Artikel. Dazu gerne:

      https://philipp-greifenstein.de/unter-heiden-14-die-deutsche-tea-party/
      https://philipp-greifenstein.de/lutz-scheufler-idea-und-die-neue-rechte/

      Ich bezweifle außerdem stark, dass die AfD trotz Unterstützung z.B. von idea unter den Evangelikalen hierzulande eine Mehrheit zustande bringen würde. Jedenfalls nicht mehr. Das hat mehrere Gründe, nicht zuletzt denjenigen, dass die AfD ihre rechtsextreme Fratze nicht mehr verbergen kann/möchte.

      2) „Politik ist davon getrennt. Denn Sein Reich ist nicht von dieser Welt.“

      Au contraire. Wenn Sie so freundlich wären, sich auf diesem Blog etwas umzuschauen, werden Sie bemerken, dass ich da eine grundstürzend andere Meinung habe. Eine, die durch die Lektüre des Neuen Testaments geprägt ist: Das Reich Gottes bricht in dieser Welt an. Zeit zur Umkehr?