Männer in die Pflege

Heute bin ich en passant mehrmals auf ein Thema gestoßen, das für die Zukunft unseres Sozialsystems sehr wichtig ist: Männer, die in der Pflege arbeiten oder genauer die Frage, warum Männer genau das so selten tun. Weit davon entfernt, ein Experte auf dem Gebiet der Pflege zu sein, will ich einmal meine Eindrücke zur Diskussion beisteuern und vielleicht ja auch ein, zwei Lösungsvorschläge anpreisen. Meine Eindrücke sind vor allem durch meine Arbeit als Referent auf FSJ-Seminaren gefärbt.

Die Frage ist brennend: aktuell und kompliziert zugleich, doch was mir als erstes auffiel, war die Frage an sich. Warum sollten junge Männer anderer guter Gründe bedürfen, in der Pflege tätig zu werden als junge Frauen? Und wenn wir schon dabei sind: hätten oder haben ältere Menschen andere Gründe als junge, in die Pflege zu gehen?

Häusliche Pflege

Dazu gleich vorweg: Ja, ich denke, es gibt durchaus unterschiedliche Gründe für ältere und jüngere Menschen, sich der Pflege kranker oder alter Menschen zu widmen. Älteren Semestern wird ihre Entscheidung zu pflegen viel häufiger als jungen Menschen durch pure Notwendigkeit abgenommen. Wer soll sich um die Eltern oder Schwiegereltern, die Mutter oder den Vater kümmern, wenn nicht die eigene Familie? Es wird häufig unterschätzt und geht in der Diskussion unter, dass viele Pflegende nicht als Angestellte in Pflegeeinrichtungen arbeiten, sondern sich um die Pflege eines Angehörigen daheim kümmern.

Aus welchen Gründen das auch immer geschieht, immer sind damit große Herausforderungen für die Familien, die Betroffenen und ganz besonders für die mit der Pflege hautpsächlich betraute Person verbunden. Diese Person ist zumeist eine Frau. Nach Berufsausbildung, eigener Berufstätigkeit und Kindererziehung ist das Feld der häuslichen Pflege für viele Frauen zwischen 40 und 60 ein weiteres Tätigkeitsfeld. Sie werden deshalb zuständig, weil man ihnen die pflegerischen Tätigkeiten zutraut und weil der Verlust ihres Einkommens (Voll- oder Halbtagsjob gleichermaßen) für das Familieneinkommen verkraftbarer ist, als z.B. der Verlust des Einkommens des Mannes.

Ebenso wie in der professionellen Pflege sind es auch im eigenen Zuhause fast ausschließlich Frauen, die pflegen. Und gerade ältere Frauen nehmen diese Herausforderung häufig ohne viel Aufhebens an, eben weil die Notwendigkeit besteht. Den Anteil der Männer, die sich an der häuslichen Pflege beteiligen oder sie hauptsächlich übernehmen, wird man vor allem dadurch vergrößern können, indem man das Gehaltsgefälle zwischen Frauen und Männern verringert: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.

Anerkennung und Wertschätzung

Ein weiteres Mal über das Thema gestolpert bin ich in einer Kritik Meike Lobos an der aktuellen Perfomance des Feminismus auf ZEITonline. Darin schreibt sie in einem kurzen, aber wichtigen Abschnitt auch über die von Frauen geleistete Arbeit in der Pflege oder in der Kinderbetreuung (und Bildung!):

„Dass typische Frauentätigkeiten mitunter gar nicht als Arbeit, sondern als Selbstverständlichkeit gelten, etwa die Pflege alter und kranker Angehöriger in der Familie, oder aber schlecht bezahlt werden und kaum eine Lobby haben, ist daher auch die Schuld der Frauenbewegung. Während der wirtschaftlich relevante Lokführerstreik im Frühjahr 2015 über die gesamte Dauer flächendeckend medial begleitet wurde, fand der Streik der Kindergärtnerinnen (es sind bisher mehr als 95 Prozent Frauen, die diesen Beruf ausüben) im Vergleich fast im Verborgenen statt.

Ähnlich erging es einem Streik der überwiegend weiblichen Pflegebranche, von dem nur erfuhr, wer gezielt danach suchte. Der Feminismus hat kaum etwas dafür getan, dass diese erzieherischen und pflegerischen Tätigkeiten mehr Wertschätzung erfahren, denn Wertschätzung hätte Frauen dazu ermutigen können, diese niederen Arbeiten auch weiter zu verrichten. Die Folge ist nicht etwa eine Welt, in der Frauen mehr Respekt für die überwiegend von ihnen geleistete Arbeit bekommen, sondern eine, in der diese Arbeit, ungeachtet ihrer gesellschaftlichen Relevanz, im allgemeinen Ansehen ganz unten steht.“

In Meike Lobos Kritik am Umgang des Feminismus mit den Leistungen und Problemen der Frauen, die u.a. in der Pflege tätig sind, findet sich meiner Meinung nach auch die Antwort auf die Frage, warum wenige junge Menschen – und unter ihnen die Männer besonders – eine Tätigkeit in der Pflege nicht in Betracht ziehen. Im übrigen lässt sich das eins zu eins auf die Arbeitsräume Kindergarten und Grundschule übertragen.

Es mangelt an Annerkennung und Wertschätzung dieser Tätigkeiten, nicht nur durch Feministinnen, sondern durch die Gesamtgesellschaft. In unserer erfolgs- und leistungsorientierten Gesellschaft ist uns das Kranke, Gebrechliche und Hinfällige suspekt geworden. Dementsprechend wenig Verständnis bringen wir für Menschen auf, die einen großen Teil ihres Lebens der Arbeit mit kranken, alten und hilfsbedürftigen Menschen widmen.

Das „Abschieben“ ins Pflegeheim mag immer noch einen schlechten Ruf haben, gesamtgesellschaftlich aber sind wir da „weiter“. Das Hinfällige und Gebrechliche hat keinen Platz mehr, außer in ARD-Themenwochen. Kranksein, Altwerden und auf Hilfe angewiesen sein, erscheint als etwas Schambehaftetes, als ob es sich dabei – theologisch gesprochen – um eine Sünde handelte, etwas das man mit ein wenig Disziplin und gutem Willen abstellen und verhindern könnte.

Solange wir daran durch guten, differenzierten Diskurs und gegenseitiges Kennenlernen nichts ändern, werden Berufe, die sich der Pflege von Menschen in allen Facetten widmen, nicht an Attraktivität gewinnen. Diese Tätigkeiten werden (wie bisher schon) abgeschoben werden und von Menschen „erledigt“, die für sich genommen schon „am Rand“ unserer Gesellschaft stehen: wirtschaftlich Schwache, ausländische Hilfskräfte und Idealisten, die gesellschaftliche Missachtung und wirtschaftliche Benachteiligung aus Gründen in Kauf nehmen.

Junge Leute für die Pflege

Seit einigen Jahren arbeite ich als Referent auf FSJ-Seminaren. Ich habe es mir zur Angewohnheit gemacht, die Teilnehmenden zu Beginn meines Seminarteils danach zu fragen, was sie denn nach ihrem FSJ beruflich so planen. Was mich dabei immer wieder freut, ist die große Anzahl der Freiwilligen, die nach ihrem FSJ weiter im Sozial- oder Gesundheitswesen tätig bleiben wollen (mein Bauchgefühl: 80 %). Die allermeisten streben z.B. eine Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpflegerin an. Und es sind auch immer wieder junge Frauen unter den Teilnehmenden, die sich sehr gut vorstellen können, ihre Ausbildung und ihr weiteres Berufsleben in einer Altenpflegeeinrichtung zu absolvieren. Die Zahl junger Männer, die sich das vorstellen können, kann ich auch nach fünf Jahren an einer Hand abzählen.

Denn natürlich hat das Thema Anerkennung und Wertschätzung auch eine geschlechtsspezifische Dimension. Genauso wie der Beruf des Erziehers stehen pflegerische Tätigkeiten – vor allem außerhalb des Krankenhauses – im Ruf, weibisch zu sein. Junge Männer tragen aus ihrer Kindheit Bilder in sich, die Helden als Feuerwehrleute und Polizisten, Ärzte und Nothelfer malen und nicht als aufopfernde Altenpfleger oder Erzieher.

Daran kann man sicher (wieder) mehr ändern, als zur Zeit unternommen wird. Jeder Erzieher, der heute in einem Kindergarten anfängt zu arbeiten, jeder Grundschullehrer sogar und eben auch jeder Pfleger ebnet den Weg für viele andere junge Männer, die ihnen auf diesem Weg folgen werden, einfach schon dadurch, dass es durch ihre Präsenz vorstellbar wird, selbst in diesen Berufen tätig zu sein.

Jahrzehntelang hat zu dieser langwierigen Veränderung auch der Zivildienst beigetragen. Dass es heute vor allem junge Männer aus wirtschaftlich starken Familien sind, die in ihrer Biographie vielfach überhaupt keine Berührungspunkte mehr mit dem Sozial- und Gesundheitswesen finden, ist auch der Abschaffung des Zivildienstes geschuldet. Damit haben wir uns als Gesellschaft keinen Dienst erwiesen.

Mehr Lohn!

Mit Anerkennung und Wertschätzung allein aber ist es nicht getan. Pflegerische Berufe müssen erheblich besser bezahlt werden als bisher. Nicht, um allein junge Männer für dieses Berufsfeld zu begeistern, sondern um überhaupt jungen Menschen in diesen Berufen eine Perspektive zu geben. Was bringt der größte Idealismus, wenn ich mit meiner Vollzeitstelle in der Pflege gerade so viel Geld verdiene, um damit das absolut Notwendige für mich und eine kleine Familie zu kaufen? Was bringt mir ein gesetzlich vorgeschriebener Urlaubsanspruch, wenn die Reise nach Balkonien führt?

Die Frage „Was müsste passieren, damit sich mehr junge Männer für einen Pflegeberuf entscheiden?“ ist nicht irrelevant, wenn es um Wertschätzung und Anerkennung von Pflegeberufen geht. Wenn es aber um harte, politische Forderungen geht, dann ist für die jungen Männer das gleiche wichtig wie für junge Frauen, die in die Pflege wollen, für ältere Frauen, die in der häuslichen Pflege arbeiten und überhaupt für alle in der Pflege jetzt schon tätigen Menschen:

  1. Gleicher Lohn für gleiche Arbeit
  2. Fairer Lohn, der wirkliche soziale Teilhabe ermöglicht
  3. Weitere Gleichstellung der häuslichen Pflege
  4. Gute Arbeitsbedingungen, die nicht krank machen

Das sind (einigermaßen) konkrete politische Ziele, hinter die sich junge Menschen mit Erfahrungen im Sozial- und Gesundheitswesen (FSJler), Feministinnen (Meike Lobo), die Kirchen und überhaupt jeder sozial denkende Mensch klemmen können. Das wäre doch mal eine Lobby!