Die Frau ohne Stimme

Es ist mühsam. Nicht nur die Prozessführung, sondern auch die Prozessverfolgung. Es geht um den NSU-Prozess in München. Die Mühsal liegt nicht an der Berichterstattung. Insbesondere der NSU-Prozess-Blog von ZEITonline leistet mir da wertvolle Dienste. Aber nach über 200 Prozesstagen – so steht es in jedem, wirklich jedem Artikel zur Sache – ist sicher nicht nur meine Aufmerksamkeit herausgefordert.

Ich überfliege das Blog, schaue über die empfohlenen Texte drüber. Ich bleibe dran, oder so. Jedenfalls, gestern Abend wurde ich vom Prozessgeschehen neu elektrisiert. Dem inzwischen bekannten Streit Zschäpes mit ihren Anwälten haben wir die erste öffentliche Wortmeldung der Angeklagten zu verdanken.

“Insgesamt vier abgehörte Gespräche sind an diesem Prozesstag zu hören. Bisweilen ist das Geplänkel ermüdend. Beim vierten Telefonat fällt der Blick des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl auf Zschäpe, die den Gerichtssaal gedanklich offenbar längst verlassen hat. “Frau Zschäpe, darf ich Sie kurz ansprechen – sind Sie bei der Sache?”, fragt er. Dann folgt, für die eisern schweigende Hauptangeklagte eine absolute Überraschung, die Antwort: “Ja.” Früher wäre Zschäpe wohl unbeeindruckt stumm geblieben, hätte das Wort ihren Verteidigern überlassen – doch auf die mag sie derzeit wohl nicht zählen.”aus dem NSU-Prozess-Blog auf ZEITonline (“Wenn der Verfassungsschutz abgehört wird” von Tom Sundermann)

Nun habe ich dieses “Ja” weder gehört – gibt es davon überhaupt eine Tonaufnahme? -, noch handelt es sich dabei um die Wortmeldung, die so viele Menschen sich von Zschäpe erhoffen. Doch lag es nur am Teaser des Artikels – “und Beate Zschäpe spricht in der Verhandlung” -, dass mich der Prozess zum ersten Mal seit Monaten mehr als nur oberflächlich interessierte?

Wie klingt die Stimme dieser Frau? Wie klingt die Stimme eines Menschen mit ihrer Geschichte? Wie klingt die Stimme einer Frau, die als Mädchen in Jena gelebt hat, als junge Frau in den Untergrund ging, die wohl an unglaublichen Verbrechen beteiligt war und die seit einiger Zeit das Gefängnis und den Prozess ihres Lebens erlebt?

Sächselt sie? Klingt sie hart oder verbraucht? Und, wird das Hören ihrer Stimme etwas an der Wahrnehmung ihrer Person ändern? Schallt uns mit ihr die Feistigkeit der alten und neuen Nazis entgegen oder ist ihre Stimme überraschend anders?

Seit einiger Zeit wird berichtet, dass Zschäpe unzufrieden sei mit der Prozessführung ihrer Anwälte. Sie ist wohl besorgt über das Bild, das von ihr entsteht. Sie enthält sich, an der Entstehung dieses Bildes teilzunehmen. Und sie scheint durch ihr Schweigen selbst belastet. Sie ist in mindestens doppelter Hinsicht eine Frau ohne Stimme.

Vielleicht darf man auch einer Frau wie ihr etwas raten: Nämlich, ihre Stimme zu erheben. Wird ihr das helfen, das Strafmaß zu senken oder gar einer Verurteilung zu entgehen? Hülfe es ihr und den Opfern? Ganz sicher.

 

Unter Heiden (11): Atemlos durch die Nacht

Pegida, überall Pegida. Und ich komme gar nicht dran vorbei, so sehr ich mich auch bemühe. Alle Welt kennt nur ein Thema, haben wir es damit nicht auch übertrieben? Wenn ich mich dann wieder mit Pegida beschäftige, fällt es mir schwer, außer Kopfschütteln noch etwas anderes rauszubringen: einen klugen Gedanken oder vielleicht eine Idee davon, wie das wohl weiter oder zu Ende gehen könnte. Oder erledigt sich das von selbst?

Dann bin ich vom Nachdenken wieder müde und die Woche ist wieder herum und wieder gibt es neue Artikel, neue Zahlen und Eindrücke und es geht von Neuem los. Pegida raubt mir den Atem. Nicht nur mir, sondern vielen Menschen, allzumal in Ostdeutschland. Ich bin atemlos und die Heiden sind es auch. „Unter Heiden (11): Atemlos durch die Nacht“ weiterlesen

Und alle Welt vergehet – Eine Biedermeierkritik zum 200. Todestag von Matthias Claudius

Am 21. Januar 2015 jährt sich das Ableben Matthias Claudius’ zum 200. Mal. Er ist einer der wenigen Dichter, von dem mit Fug und Recht behauptet werden kann, dass wenigstens einige seiner Zeilen in das Gedächtnis unserer Kultur eingeschrieben sind. Dazu gehören vielleicht noch ein paar Zeilen Goethe, Schiller, Heine und später sind Bonmonts von Kästner und Brecht hinzugetreten, aber jedes Kind kennt den Mond, der aufgegangen ist.

“Es gibt Melodien und Verse, die lange Zeit im kollektiven Gedächtnis einer Kultur bleiben – auch bei Leuten, die behaupten, keine Ahnung von Musik und Lyrik zu haben. In hiesigen Breiten wird beim Anblick des Mondes wohl nicht nur an Raumfahrt gedacht, sondern auch an das Abendlied von Matthias Claudius. “Der Mond ist aufgegangen”: Diese Verse schildern zunächst Natureindrücke, – Mond, schweigender Wald, weißer Nebel – dann gehen sie in eine kleine Predigt über, sprechen von der menschlichen Torheit; schließlich werden sie zum Gebet mit der Bitte um einen ruhigen Schlaf.” – aus “Matthias Claudius – ein bescheidener Charakter” von Angela Gutzeit (deutschlandfunk.de)

Neuer Biedermeier
Irgendwo – wahrscheinlich an mehreren Stellen in diesem Internet, nur wo genau, dass weiß ich nicht mehr – habe ich den letzten Tagen davon gelesen, dass wir den Beginn eines neuen Biedermeiers erleben. Der Erfolg von Hipster-Landzeitungen und der Unwille mancher Zeitgenossen gerade der jüngeren Generation, sich mit den wichtigen Fragen der Zeit auseinanderzusetzen, wurden als Beweise für diese These herangezogen. „Und alle Welt vergehet – Eine Biedermeierkritik zum 200. Todestag von Matthias Claudius“ weiterlesen