Weniger Kommentare, bitte!

Wer googeln kann, der weiß: Ein Kommentar ist eine kritische Stellungnahme zu einem aktuellen Ereignis oder Thema im Fernsehen oder in der Zeitung oder Online. Wer sich ein wenig auskennt oder die Wikipedia zu Rate zieht, der weiß: Bei einem Kommentar handelt es sich um einen Meinungsbeitrag. Er präsentiert und erklärt eine Meinung zu den bereits vorgestellten Informationen.

Kommentare überall
Auch ich schreibe gelegentlich Kommentare, vor allem auf theologiestudierende.de. Mit einem “Moment-mal”, einer Kolumne, die nichts anderes ist als eine nie abreißende Kommentarkette, startet theologiestudierende.de in die Woche und ich schreibe, wenn nichts dazwischen kommt, einmal im Monat so einen Einwurf.

Viele von uns erinnern sich auch noch an den Kommentar von Anja Reschke, den sie in den Tagesthemen vor ein paar Monaten sprach. Der hat gut getan, da waren sich viele Menschen einig. Kritischer sehen wir die Kommentare, die von uns allen mal mehr mal weniger häufig und qualifiziert unter Artikeln oder Videos im Netz gepostet werden.

Es gibt einen enormen Drang dazu sich zu äußern, seine Meinung kund zu tun. Das fängt bei diesen kurzen Kommentaren im Netz an. Geht in der Blogosphäre weiter, wo es vielleicht am interessantesten ist, weil sich viele Menschen die Mühe machen, aus ihrem Leben, ihrem Beruf, ihrer Perspektive heraus mitzuteilen, was anderen an Information und Einordnung fehlt. Die Kommentarflut setzt sich fort bis in die Nachrichtenmagazine und Zeitschriften hinein.

Allzeithoch des Kommentierens
Vielleicht liegt das Allzeithoch an Kommentaren ja daran, dass viele Menschen den Eindruck haben, uns sei der gesellschaftliche Grundkonsens in vielen Fragen abhanden gekommen. Deshalb sei es wichtig, die richtige Meinung nun noch einmal und in verschärfter Form vorzutragen. Natürlich erntet das wiederum Widerspruch – in der Form weiterer Kommentare.

Im letzten Sommer war ich Teil eines Gesprächs zwischen einem Wirtschaftsprofessor, einem Pensionär und einer jungen Studentin. In der Sache – welche ist für diesen Artikel völlig unerheblich – waren wir uns grundstürzend uneinig. Einig aber waren wir uns, dass in einer bestimmten Tageszeitung und ihrem Onlineableger das Verhältnis von Meinungs- und Informationstexten erheblich gekippt sei. Das lässt sich fast für jede Print- und Onlinemarke in Deutschland sagen.

Vor ein paar Tagen wurde ich für einen Text von mir gelobt. Darüber habe ich mich sehr gefreut, arbeitet der Lobende doch in der Ausbildung von Journalisten. Er bedankte sich insbesondere für den nachdenklichen Ton des Textes, den er in der Debatte häufig vermisse. Ich stimmte ihm zu, denn das war auch mir aufgefallen. Gerade deshalb habe ich lange damit gerungen, ob und wie ich den Text schreiben sollte.

Dann fielen mir meine vielen Kommentare ein, die ich in letzter Zeit vor allem auf theologiestudierende.de geschrieben habe. Darunter auch ein oder zwei, die nicht besonders nachdenklich im Ton waren, wenngleich ich natürlich über ihren Inhalt nachgedacht hatte. Unnötig zu sagen, dass diese Hau-drauf-Kommentare natürlich mehr Leser fanden als jener nachdenkliche Text, für den ich gelobt wurde.

Nun renne ich hier nicht den Klickzahlen hinterher – schließlich werde ich dafür nicht bezahlt. Ich werde überhaupt nicht fürs Bloggen bezahlt, weshalb ich mich natürlich über Aufmerksamkeit freue, auch wenn sie häufig nur in Klickzahlen wahrnehmbar ist.

Ich glaube, in dieser Klemme stecken viele Blogger, Journalisten und Redaktionen. Weil aber die Klickzahlen und die Social-Media-Zahlen (Wie oft geteilt, geliked, verlinkt?) dort einen großen Einfluss auf die wirtschaftliche Zukunft des Mediums haben – und damit auch auf den Gehaltszettel des Schreibers – tendiert man offensichtlich dazu, überzukommentieren.

Ein aktuelles Beispiel:
Tanjev Schultz schreibt auf Süddeutsche.de über den Anstieg rechter Gewalt in Deutschland und über die Wirkung, die die Pegida-Hetze von Lutz Bachmann entfaltet. Ich habe schon viele gute Artikel von Tanjev Schultz gelesen und schätze Süddeutsche.de als einen wichtigen Teil meines täglichen Nachrichtenmixes, und natürlich ist auch das Thema wichtig. So weit, so klar.

Dann steht aber gleich zu Beginn des Textes folgender Satz: “Man darf Bachmann nun nicht den Gefallen tun, zu viel auf seine Worte zu geben und ihnen ein lautes Echo zu verschaffen – und sei es eines der Empörung.” Und ich frage mich: Was anderes als genau das macht Schultz denn jetzt?

Es folgen noch ein paar sicherlich kluge Sätze, gefolgt von ein paar gutsitzenden Fragen, die unbeantwortet bleiben. Bei mir bleibt das Gefühl zurück, zu einem Buffet eingeladen worden zu sein, auf dem es dann leider aber nur Fingerfood gab.

Was teilt er mit? Dass die Bachmannsche Hetze weh tut, weil sie verletzend vorgetragen wird und unsäglich dumm ist. Dass sie gefährliche Folgen hat, wenn – wie überall im Land fast täglich – Asylunterkünfte brennen, Asylbewerber und Migranten auf offener Straße verprügelt und verfolgt werden. Dass es entsetzlich ist, wieviel Beifall und Zustimmung Bachmann für seine Einlassungen auch und gerade im Netz erfährt.

Das sind, bei allem Respekt, Binsen. So oder so ähnlich inzwischen hundertfach geschrieben und gelesen. Ich frage mich, wem bringt dieser Text etwas? Außer, dass wir Leser uns in einer Art narzistischen Selbstvergewisserung sagen können, dass wir nicht zu diesen Irren gehören.

Die Spirale aus noch so gut gemeinten Kommentaren bringt uns Lösungen keinen Schritt näher. So endet auch Schultz’ Kommentar stellvertretend für so viele mit Fragen: “Mehr Bildung? Mehr Aufklärung? Unbedingt. Doch wie soll man Jugendliche wirksam vor Extremismus schützen, wenn sie umgeben sind von lauter extremistischen Erwachsenen?”

Weniger Kommentare wagen
Es muss nicht alles von allen noch einmal gesagt werden. Ein Grundprinzip nicht nur guter Sitzungsleitung. Ich wünsche mir stattdessen mehr Hintergrund, mehr Einordnung, mehr Recherche, mehr Geschichten vom Rand, mehr Historisierung, mehr Kontextualisierung – wie schaut es wirklich in den betroffenen Ländern aus und bei unseren europäischen Geschwistern? – mehr Wissen, statt noch mehr Meinung.

All das gibt es auch jetzt schon in Hülle und Fülle, weil unsere Zeitungen und Nachrichtenmagazine nämlich auch in dieser Krise – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – einen tollen Job machen. Das alles wäre (noch) leichter zu finden, würde es nicht permanent in einer Meinungssoße ertränkt. Das will doch keiner.

Natürlich gibt es auch Bedarf an guten Kommentaren. Kommentare, die sich auflehnen, die Haltung zeigen, die zur Verteidigung von Rechten und Menschen nicht nur aufrufen, sondern in sich eine solche Verteidigung sind. Kommentare, die ihren Lesern das Gefühl geben, mit ihrer Haltung nicht allein zu stehen. Und natürlich will ich auf eure Meinungen, liebe Journalisten, nicht verzichten. Sie soll als Haltung eure Recherchearbeit, eure Schreibarbeit informieren und auf diesem Weg eure Berichterstattung prägen.

Die junge Studentin, der Wirtschaftsprofessor, der Journalistenausbilder und ich, wir gehören ganz sicher zu den Leuten, die Euch (noch) lesen. Weil wir Euch vertrauen. Hört deshalb auf die Bitte: Weniger Kommentare, mehr Hintergrund!

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