Immendorff, Peymann – Abgesang auf einen Künstler

In den allerspätesten Abendstunden läuft sogar im Fernsehen sehenswertes Programm. Noch am Nachmittag wird man mit Trödelfernsehen, Kochsendungen und 50er-Jahre-Schinken abgespeist. Hat sich die Sonne und haben sich die Augenlider der Hauptzielgruppe gesenkt, läuft auf einmal Kultur.

So habe ich gestern Abend zufällig in eine feine Dokumentation über Jörg Immendorff hineingezappt, den nun schon vor zehn Jahren verstorbenen Künstler. Die Doku begleitet Immendorff, bereits von der Nervenkrankheit ALS eingeschränkt und gezeichnet, bei der Arbeit im Atelier und auch zu einer Seminarsitzung in die Kunsthochschule, während der er die Werke seiner Studenten recht unbarmherzig aburteilt.

Die gleiche Härte auf sich selbst als schaffenden Künstler gewandt, sorgt für eine immer weiter fortschreitende Kunstproduktion, die allein durch die Hilfe von Assistenten möglich ist. Sie sind seine Hände und er bindet sie an seinen Willen. Unwidersprochen und unwiderstehlich, darf man sagen.

Anschließend in die ARD gezappt: Deutschland, deine Künstler – Claus Peymann. Der Kontrast ist riesig. Da der geschlagene, ernsthafte, humorbefreite Immendorff, hier der von sich und seiner Welt begeisterte und eingenommene Peymann. Der eine, Peymann, 1937 geboren, erfreut sich scheinbar bester Gesundheit und Tatenlust. Der andere, Immendorff, 1945 geboren, seit zehn Jahren tot und dem Vergessen nicht entzogen.

Beide Teil einer Generation von Kunstschaffenden, zu jung um während des Nationalsozialismus Schuld auf sich geladen zu haben, Teil des Projekts einer anderen Republik. Peymanns Widerstand gilt immer noch Adenauerdeutschland. Und Immendorff ist das Adenauer-Porträt eines Studenten nicht nur der Machart wegen zuwider, schon die Motivwahl gibt ihm zu denken.

Nach 45 Minuten Doku hat man wenig Neues über Peymann gelernt. Nichts erfahren, das man nicht in den Feuilletons und bei Harald Schmidt schon hundertfach gelesen, gehört oder gesehen hätte. Die Bildsprache der Deutschland, deine Künstler-Reihe gibt überraschende Momente nur selten her. Auch diese Ausgabe kommt konventionell erzählt, etwas bieder und allzu ehrerbietig daher. Es ist der Reihe und dieser Doku an der Herstellung eines gefilmten Pantheons deutscher Künstler gelegen, das Ergebnis darum wenig überraschend. Die Frage bleibt offen, welchem Künstler man so gerecht wird? Peymann sicher nicht.

Es ist schon hübsch anzusehen, wie Peymann durch das Burgtheater hetzt, hier und da Personal grüßend bekennt, sich nach wie vor im ausladenden Haus zu verirren. Schließlich angekommen am eigenen Porträt, fläzt er sich auf die unter dem Bild stehende Chaiselongue, natürlich kokett samt beschuhten Füßen. Sattsam bekannt ist diese Peymannsche Inszenierung des eigenen Rebellentums, inklusive Blick in den Kleiderschrank, trotzdem und die Kamera geht ihr vollständig auf den Leim.

Zur Ehrerbietung gehört selbstverständlich auch die Schilderung der herausfordernden Probenarbeit. Stellvertretend kommt der Hauptdarsteller von Peymanns letzter Berliner Inszenierung Prinz Friedrich von Homburg zu Wort, der tief beeindruckt davon berichten darf, dass er Peymann während einer Probe sogar einmal angebrüllt hätte. Gähn.

Zum Schluss wird Peymann gestattet, seine nach wie vor bestehende Differenz zum Berliner Establishment zu bekennen. Zwar wären sie alle da, sind alle in seine Inszenierungen gelaufen, aber, nein, dazu gehören würde er natürlich nicht. Das ist dann schon fast verschämt. Immendorff bekannte sich im wohltuenden Kontrast zu solcher Attitüde dazu, von der Aufmerksamkeit der Mächtigen geschmeichelt zu sein. Allerdings hatte er es auch mit dem Kanzler Schröder zu tun, nicht mit der von Peymann als kühl beschriebenen Angela Merkel.

Jedenfalls gelingt Peymann diese Regiearbeit ganz so, wie er sich das wohl gedacht hat, was erheblich zur Langeweile der Dokumentation beiträgt. Seinen ausgestellten Tatendurst und die augenscheinliche Eile, der er sich aussetzt, nimmt man ihm jedenfalls nicht ab. Die Dringlichkeit Immendorffs, die sich aus dem nahenden, sicheren Tod ergibt, kommt ohne Eile aus. Da wird gründlich weiter gearbeitet, als ob es kein Ende gäbe. Es ist Paradox, aber in dieser Dokumentationsnacht wird dem Lebendigen von beiden der Abgesang gegeben.

3 x woanders

In den letzten Tagen sind drei Texte von mir woanders erschienen. Hier die Leaser (Links + Teaser):

Verpflichtung (Spätschau.de)
“Heute sprach Ruth Klüger zur Gedenkstunde an die Shoah im Deutschen Bundestag. […] Mich hat ihre Rede zugleich beschämt und aufgerichtet zurückgelassen. […] Ich habe mich angesichts der tiefen Humanität und der Schönheit ihrer literarischen Worte aber für allem für unser heutiges Deutschland geschämt, in dem im doppelten Sinne hässliche Worte salonfähig geworden sind. Umso mehr war ich am Ende ihrer Rede davon überrascht, dass sie – Opfer der nationalsozialistischen Terrorherrschaft – uns Deutschen sogar Mut zu sprach.”

Politisch korrekt (Moment mal, theologiestudierende.de)
“Gerade Christen, die gegenwärtig besorgt darum sind, dass christliche Überzeugungen in unserer Gesellschaft nicht gehört werden, sollten sich hier engagieren. Nicht den neurechten Gegnern der Inklusion das Wort reden, sondern sich für eine inklusive Sprache und inklusive Gesellschaft einsetzen.”

Krankenhauskopfhörer (Techniktagebuch)
“Ich trottete also ins Foyer des Krankenhauses, erkundigte mich nach dem Krankenhauskopfhörerautomaten, warf in das Ungetüm 2,50 € ein, zog ein Plastikfenster von rechts nach links, entnahm ein ultimativ wackliges Paar Kopfhörer und trug es pflichtschuldig an das Krankenlager der Liebsten.”

Sonntagabend bei Anne Will – Zwei Schwarze, ein Bischof und Trixi von der AfD

Gestern Abend lief viel beachtet die Talksendung Anne Will im Ersten zum Thema: “Vorbild Österreich – Braucht auch Deutschland eine nationale Obergrenze?”. Eins vorweg: Ich habe die Sendung gar nicht gesehen. Vielmehr habe ich sie fast ausschießlich gehört, weil ich nebenbei twitterte. Und weil ich auf dem Notebook viel schneller schreiben kann als auf dem Smartphone, wurde aus dem Second-Screen also ein Hörspiel. „Sonntagabend bei Anne Will – Zwei Schwarze, ein Bischof und Trixi von der AfD“ weiterlesen

The Newsroom

Nachdem ich auf Youtube über ein paar Clips gestolpert war, habe ich mir The Newsroom von Aaron Sorkin vorgenommen. Sorkin ist einigen Fernsehenthusiasten als Schöpfer von The West Wing ein Begriff. Für diese Serie, die von 1999 bis 2006 auf NBC, einem der großen Fernsehnetzwerke in den USA, lief, war ich damals noch zu jung bzw. an us-amerikanischer Politik zu uninteressiert. Umso mehr hat mich der Aufriss von The Newsroom jetzt angefixt.

Schau an: Die Eröffnungszene (Youtube)

Mit dieser Szene steigen wir in das Geschehen ein. Und sie zeigt schon eine Menge von dem, was mir an The Newsroom außerordentlich gut gefällt. Schnelle, witzige (engl. witty “witzig, geistreich, originell, launig”) Dialoge, Fernsehen, das seine Zuschauer nicht für dumm verkaufen will, sondern herausfordert und handwerklich gut gemachte Unterhaltung. „The Newsroom“ weiterlesen