Rezension – “Leben dürfen – Leben müssen: Argumente gegen die Sterbehilfe” von Heinrich Bedford-Strohm

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD und Bischof in Bayern, hat bereits 2015 ein Buch zur Sterbehilfe vorgelegt. Meine Rezensionsarbeit daran ist etwas liegen geblieben: Auf theologiestudierende.de ist damals schon eine Rezension aus anderer Feder erschienen, der ich kontrovers nichts hinzusetzen wollte. Denn für das Buch und die gesellschaftliche Debatte dahinter gilt, jedenfalls für mich, dass ich Polemik da gerne raushalten will.

Was das Buch ist

Dafür gibt Bedford-Strohms Buch auch kaum Anlass. Kritikern der Sterbehilfe, welcher Form auch immer, werden seine guten Argumente gegen eine Liberalisierung nicht nur gefallen, vielleicht werden sie sie erstmals geordnet und klug aufgeschrieben finden. Für Sterbehilfe-Kritiker ist das Buch, auch vom Ton her, ein Lehrbuch. Dem ehemaligen Professor Bedford-Strohm merkt man im positiven Sinne an, dass er es gewohnt ist, nicht allein für Spezialisten zu schreiben bzw. zu sprechen.

Auch den Befürwortern einer Liberalisierung der Sterbehilfe dürfte es schwerfallen, dieses Buch grundweg falsch zu finden. Denn, trotz Untertitel und persönlicher Haltung, handelt es sich überhaupt nicht um eine Streitschrift gegen jedwede Entwicklung in der Sterbehilfedebatte. Bedford-Strohm führt – auch hier kommt der Lehrbuchcharakter des Buches zum Tragen – eben auch in jene Überzeugungen ein, denen er nicht zustimmt. Und zwar nicht nur in der Weise, die es ihm leicht macht, die gegenläufigen Meinungen abzukanzeln.

Bedford-Strohm referiert im Gegenteil die unterschiedlichen ethischen Zugänge respektvoll und jeweils daran interessiert, was aus der jeweiligen Richtung für die Debatte zu lernen ist.

Insofern kann die Lektüre dieses Buches jedem ans Herz gelegt werden, der sich erstmals in die Sterbehilfe-Debatte einlesen möchte und dabei gerne von berufener Seite, d.h. von einem profilierten öffentlichen Theologen, begleitet werden möchte.

Was das Buch nicht ist

Anders als der Untertitel vermuten lässt, ist das Buch keine Streitschrift für eine, gar die amtlich verordnete Sicht auf die Sterbehilfe, die sich sicher einige christliche Sterbehilfe-Gegner gerade von einem Ratsvorsitzenden wünschen würden. Diese Erwartungshaltung unterläuft Bedford-Strohm und bleibt sich als Wissenschaftler treu. Ich empfinde das als großen Vorteil, andere mögen den mangelnden Dogmatismus kritisieren. Mir ist ein Theologe und Kirchenmann lieber, der als sich selbst überprüfendes und darum vorsichtiges Subjekt auftritt, als einer, der Glaubenssätze einfach wiederkäut.

Es handelt sich allerdings trotz aller Abwägungen und Nachdenklichkeit auch nicht um ein akademisches Werk und auch nicht um ein Kompendium aller in der Debatte vorgelegten Standpunkte. Gelegentlich wünscht man sich, ist man mit der Sterbehilfe-Debatte vertraut, weiter differenzierte und herausfordernde Gedanken, wie sie zum Beispiel Friedrich Wilhelm Graf vorgetragen hat. (Darüber habe ich seinerzeit einen Essay auf theologiestudierende.de geschrieben.)

Fazit

Vor allem ist das Buch ein Appell für mehr Nachdenklichkeit und Sorgfalt im Umgang mit (scheinbar) einfachen Optionen der Sterbehilfe. Bedford-Strohm wirbt für ein begleitetes, würdevolles Sterben, ohne die schwierigen ethischen Konflikte am Lebensende aus dem Blick zu verlieren. Damit fordert er unsere Gesellschaft heraus, eine andere Kultur des Sterbens zu entwickeln.

PS: Der Verlag hat auf Youtube ein Gespräch Bedford-Strohms zum Buch zu Verfügung gestellt. Das ist doppelt gefärbt: Erstens, weil es natürlich in werbender Absicht des Verlags geschieht, und zweitens, weil sich Bedford-Strohm mit einer Pfarrerin seiner bayerischen Landeskirche unterhält. Dessen eingedenk aber ein spannendes Gespräch.

(Ich habe vom Verlag ein kostenloses Rezensionsexemplar erhalten.)

Leben dürfen – Leben müssen:
Argumente gegen die Sterbehilfe
Heinrich Bedford-Strohm
Kösel-Verlag
17,99 €

Kritisches – #Longreads über Kritik, Kritiker und Kritisierte

Die Kritik ist leicht, die Kunst ist schwer.

(Philipp Destouches)

Es wird ja viel kritisiert. Auch im Internet, hab ich mir sagen lassen. Viele Kritiken kommen eher unflätig daher, doch auch eine Kritik kann kunstfertig verfasst sein. Das ist immer dann der Fall, wenn die Kritik und ihre Form zum gewünschten Publikum passt. Deshalb stelle ich heute einmal vier Kritiken vor. Lange Texte (#Longreads), die man an einem Schlechtwetternachmittag gut lesen kann. „Kritisches – #Longreads über Kritik, Kritiker und Kritisierte“ weiterlesen

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Den folgenden Text habe ich schon seit dem Frühjahr hier herumliegen. Es geht um das unterschiedliche Verständnis der Menschenrechte in den christlichen Kirchen – hier exemplarisch ausgeführt am Beispiel der Russisch-Orthodoxen Kirche. Am Rande geht es um die Frage, die mich im Frühjahr umtrieb und immer noch der Bearbeitung harrt, nämlich der nach der latenten Kirche unserer Zeit.

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Selber denken

„7 Wochen ohne“, so heißt die Fastenaktion der evangelischen Kirche. Dieses Jahr steht sie unter dem Motto „Selber denken: 7 Wochen ohne falsche Gewissheiten“. Laut Veranstalter geht es vor allem darum, „eingeschliffene Gewohnheiten zu durchbrechen, die Routine des Alltags zu hinterfragen, seinem Leben möglicherweise eine neue Wendung zu geben oder auch nur wieder zu entdecken, worauf es ankommt.“

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