Was soll(t)en wir jetzt sagen? – Was sollte die Kirche jetzt sagen?

Diesen Vortrag habe ich am 18. November 2023 bei der Fachtagung Friedensethik “20 Monate Krieg in der Ukraine” in Halle (Saale) gehalten. Die Tagung wurde vom Reformierten Kirchenkreis der EKM in Zusammenarbeit mit dem Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum und der Theologischen Fakultät der MLU Halle-Wittenberg durchgeführt.

Für die Veröffentlichung auf dem Blog habe ich den Text ein wenig zusammengekürzt, vor allem in der Einführung, die doch stark kontextuell auf das Vortragssetting zugeschnitten war. Die Ausführungen zum friedensethischen Diskurs sind unverändert. Ich habe Links zu den erwähnten Texten und Reden im Fließtext ergänzt.


Meine sehr verehrten Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung, die ich sehr gerne angenommen habe. „Theologe und Christ“ sind die „Erinnerungen und Bekenntnisse“ des großen Hallenser Theologieprofessors Martin Kähler überschrieben. Das wichtigste Wort in diesem Titel ist, wenn ich mich richtig erinnere, das „und“. Sie haben mich eingeladen, um „eine journalistische Perspektive auf die Rolle der Kirchen“ zu Ihrem Tagungsthema einzuholen. Ich bin Journalist und Christ oder Christ und Journalist, mindestens jedenfalls, neben anderen Selbst- und Fremdzuschreibungen.

Ich befasse mich mit der aktuellen Kirchenpolitik im deutschsprachigen Raum. Meine Schwerpunktthemen sind die Digitalisierung in den Kirchen, Kirche und Rechtsextremismus und sexualisierte Gewalt und anderer Missbrauch in der Evangelischen Kirche. Als Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur „Die Eule“ befasse ich mich zwangsläufig auch mit weiteren gesellschaftlichen und politischen Themen, also beispielsweise auch mit Sozial- und Gesellschaftspolitik, der Religionspolitik im engeren Sinne, dem Islam in Deutschland, der Klimakrise und aktuellen Kriegen .

Am 25. Februar 2022 stiegen wir in unserem kleinen Online-Magazin in die Berichterstattung zum Ukraine-Krieg ein mit einem Podcast, den ich noch am Abend des 24. Februars mit der katholischen Theologin und Ostkirchenexpertin Regina Elsner aufgenommen hatte. Darin befragte ich sie nach der Rolle der Kirchen im Konflikt, der am Morgen desselben Tages erneut zu einem akuten Krieg geworden war. Seitdem sind insgesamt 58 Beiträge zum Ukraine-Krieg in der Eule erschienen. Davon sind 26 Ausgaben unseres wöchentlichen Newsletters „Links am Tag des Herrn“, in dem wir auf Inhalte anderer Medien hinweisen und diese kritisch einordnen. Mit Regina Elsner habe ich im Dezember 2022 erneut für unseren Podcast gesprochen. Ihre scharfe Kritik an der Religionspolitik der Regierung Selenskyj erschien auch in schriftlicher Form. Außerdem führten wir Interviews mit der jungen ukrainischen Kirchenmusikerin Dariia Lytvishko, dem ehemaligen Pastor der evangelisch-lutherischen St. Katharinenkirche in Kiew, Ralf Haska, mit Diakonie-Präsident Ulrich Lilie und ein weiteres Podcast-Gespräch mit Judith Königsdörfer vom Lothar-Kreyssig-Ökumenezentrum und damals noch im Zentralausschuss des Ökumenischen Rates der Kirchen.

Die junge ukrainische Journalistin Maria Karapata berichtete für uns vom Alltag des Krieges in Kiew. Auch im Gespräch über Dorothee Sölle mit der Jenenser Systematikerin Sarah Jäger ging es um den Ukraine-Krieg. Es lässt sich als Interview im Magazin finden und auf YouTube als Video im Rahmen unseres Projekts „WIDERSTAND! Dorothee Sölle und der Osten“, das wir in Partnerschaft mit der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt in diesem Jahr durchführen.

Besonders möchte ich Sie auf die friedensethischen Interventionen von Michael Haspel und des Mennoniten-Pastors Benjamin Isaak-Krauß in der “Eule” hinweisen, die im März 2022 erschienen sind, und an Aktualität nichts eingebüßt haben. Wenn Sie dann noch über den ein oder anderen Artikel von mir über den friedensethischen Diskurs oder meine flammende Verteidigung der aktuellen EKD-Ratsvorsitzenden anlässlich ihrer Reformationstagspredigt 2022, oder vor allem die Berichte über die schwierige Ökumene mit dem Moskauer Patriarchat (hier, hier & hier) stolpern, wäre ich hoch erfreut. Hier endet der Werbeblock.

Allerdings handelte es sich bei diesem Überblick nicht allein um Werbung, sondern auch um ein inhaltliches Statement: Wer Konflikte wie den Ukraine-Krieg verstehen will, muss auf die Expertise und die Erfahrungen zahlreicher Menschen mit unterschiedlichen Perspektiven und Meinungen zurückgreifen. Das dauert und macht Mühe. Konfliktverständnis bedarf der diskursiven Gruppenarbeit und muss reifen. Das trifft auf alle Akteur:innen zu, auf Privatleute wie auf Kirchenleitende, auf Theolog:innen wie auf Journalist:innen.

Was ich als Journalist kommuniziere, sollte nicht einfach ziemlich sicher richtig sein, es muss stimmen. Sonst setze ich meine Glaubwürdigkeit aufs Spiel. Die aus meiner Perspektive wichtigsten Werkzeuge eines Journalisten sind: 1. Glaubwürdigkeit, 2. Neugier, 3. Expertise zu jenen Themen, zu denen ich mich äußere, und 4. das kreative Vermögen, Ausdrucksformen zu finden, die Leser:innen, Hörer:innen oder Zuschauer:innen gut verstehen können.

Im Werkzeugkasten einer Theologin, die sich in aktuelle Debatten einschaltet, könnten sich befinden: 1) religionshermeneutische Expertise 2) eine umfassende historische Orientierung 3) Textkompetenz 4) ethische Urteilskraft im Horizont der eigenen religiösen Tradition.

Was aber findet sich im Werkzeugkasten einer Christ:in, die sich mit Kriegen und Krisen konfrontiert sieht? Haben Christen überhaupt etwas, sogar etwas Spezifisches, im Gepäck, das bei der Bearbeitung einer Krise wie dem Ukraine-Krieg helfen kann?

Als Journalist und Christ muss ich sie leider enttäuschen. Ich kann Ihnen die mir gestellten Fragen nicht beantworten: Was soll(t)en wir jetzt sagen? Was sollte die Kirche jetzt sagen? Ich bin für die Beantwortung dieser Fragen weder mandatiert noch mit der erforderlichen Expertise in friedensethischen, ökumenischen oder sicherheitspolitischen Fragen ausgestattet. Was ich Ihnen heute anbieten kann, ist meine journalistische Perspektive auf drei Problemlagen der kirchlichen Debatten im Kontext des Ukraine-Krieges – und zum Schluss eine Ermutigung.

1) Sprecherpositionen klären

Bis hierhin habe ich eigentlich nichts anderes versucht, als meine eigene Sprecherposition zu klären. Nicht nur für mich selbst, sondern coram publico, vor aller Welt. Das lege ich Ihnen und den kirchlichen Akteur:innen für die weitere Debatte ans Herz.

In der Evangelischen Kirche ist viel kaputt gegangen und ihr Bild in der Öffentlichkeit hat Schaden genommen, weil es an klaren Sprecherpositionierungen im Kontext der Auseinandersetzung zum Ukraine-Krieg gefehlt hat – und zum Teil bis heute fehlt. Das hat systemische Gründe, die viel gerühmte evangelische Vielfalt gehört sicher dazu, aber gelegentlich ist es einfach auch kommunikatives Unvermögen.

Im Falle des Ukraine-Krieges finden Stellungnahmen von Papst Franziskus ebenso Gehör wie die Meinung der Theologin und damaligen BILD-am-Sonntag Kolumnistin Margot Käßmann. Vor allem aber die Kriegspropaganda des Moskauer Patriarchen Kyrill und seiner Russisch-Orthodoxen Kirche und die religiösen Geschichtsdeutungen Vladimir Putins.

Sie werden der Verantwortungsgemeinschaft der Christen im Allgemeinen zugeordnet. Kirchen und Christen werden für Äußerungen und das Handeln anderer Menschen in Mithaftung genommen, die sich als Christen in der Diskussion und im konkreten Kriegshandeln positionieren. Zum Beispiel mit der Segnung von Panzern. Kommunikativ befinden sich die Kirchen also in der Bringschuld, in der Defensive, in Rückenlage. Von ihnen wird mindestens eine glaubwürdige Distanzierung von der Kriegspropaganda und vom Gottesdienst feiernden russischen Präsidenten erwartet.

Weil Kriegszeiten nun einmal Zeiten extremer Polarisierung sind und Medien ihren Eigengesetzlichkeiten folgen, werden die Distanzierungsforderungen heftiger und verfehlen durchaus gelegentlich die richtigen Adressaten. Sie finden statt in unserer zunehmend säkularisierten und auch religiös pluralen Gesellschaft und werden deutlich weniger durch Religionskompetenz in den Medien begleitet als noch vor wenigen Jahren.

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LGBTQ-Community als latente Kirche (repost)

Von der LGBT-Bewegung und der gegenwärtigen Debattenlage kann man Einiges lernen. Und die Kirche hat zu mehreren der verhandelten Gegenstände etwas zu sagen. Es soll aber einmal nicht um die Frage der religiösen Diskriminierung oder um die Frage der rechtlichen und gesellschaftlichen Gleichstellung und auch nicht um Stilfragen gehen, sondern allein darum, dass uns durch die Aktivisten der LGBT-Bewegung vorgeführt wird, was in Liebesbeziehungen unter Menschen denn eigentlich wichtig ist.

Nämlich, dass es nicht auf die Form der Beziehung und das Geschlecht und die Sexualität der beteiligten Personen ankommt, sondern auf die Qualität der in der Beziehung vermittelten Nähe. „Wenn Sex eine religiöse Dimension hat, dann nur, wenn er nicht allein der Befriedigung sexueller Bedürfnisse dient, sondern ein im wahrsten Sinne des Wortes intimes Geschehen ist. Intimität setzt gleichberechtige Partner voraus, deshalb verdammen die Autoren der Bibel sowohl Päderastie als auch  “Gelegenheits-Verkehr”. Wobei hier keine Häufigkeit (“manchmal”) gemeint ist, sondern eine Motivation (“weil es mir gelegen kommt”). Intimität als tiefster Grund der Sexualität setzt Einvernehmen, Gleichberechtigung und die Bereitschaft voraus, sich mitzuteilen. Sex ist die direkteste Kommunikation, zu der Menschen fähig sind. Eine solche Intimität ist die religiöse Dimension jeder Sexualität.“ (aus Ist Homosexualität christlich? – Versuch einer bleibenden Antwort)

Dort wo dies ermöglicht oder zumindest versucht wird, muss sich auch die manifeste Kirche investieren. D.h. auch, dass sie ihren Schutz von der „traditionellen“ Familie nicht abziehen muss. Wohl aber muss sie deren Vergötzung aufgeben. „Immer dann, wenn die Religion eine einzelne Sozialform nicht nach ihrem tiefsten Grund befragt, sie transzendiert und unter ihr Gericht stellt, kommt sie ihrer Sendung, nach dem Unbedingten zu fragen, nicht nach, sondern setzt Bedingtes an seine Stelle.“ Es kommt nicht auf die Form der gelebten Partnerschaft an. Im Politischen muss die Kirche „sich von ihrer vormaligen Heiligung einzelner Sozialformen lösen. [Sie] darf weder heterosexuelle, noch homosexuelle Partnerschaften an sich heiligsprechen. [Sie] muss sich dort investieren, wo Menschen nach dem Unbedingten fragen. Die Gleichstellung homosexueller Menschen muss daher als Anliegen der Christenheit gelebt werden.“ (ebenda, s.o.) Aus gleicher Begründung sollte die manifeste Kirche dort Einspruch einlegen, wo sich die LGBT-Bewegung überspannt, indem sie die Notwendigkeit und Möglichkeit echter menschlicher Beziehung an sich negiert.

Ruhig bleiben, Bonhoeffer lesen

Jetzt ist es also passiert: Auf einer als “Mahnwache” für die Opfer des Anschlags auf den Weihnachtsmarkt in Berlin deklarierten Demonstration der Neuen Rechten hat ein Pfarrer gesprochen. In Talar und Beffchen!

Zwar marschieren schon seit Jahr und Tag Pfarrer i.R. und Christen bei Pegida- und AfD-Kundgebungen mit, doch der Anblick eines pfarramtlich gewandeten Predigers auf einer Demo von ganz rechtsaußen ist ein neuer, gewöhnungsbedürftiger Anblick. Nicht umsonst entzündete sich daran unter Christen und Pfarrleuten eine heftige Diskussion: Darf er das überhaupt? „Ruhig bleiben, Bonhoeffer lesen“ weiterlesen

The Medium is the Message

This week, I came across this article by Erik Parker from his blog The Millennial Pastor: “Why nothing seems to get people back to church – The issue at the core of decline”. I’m a frequent reader of his blog, in fact, I translated one of his articles into German a few years ago for theologiestudierende.de.

At first I felt a bit angry about his thoughts, because I know congregations (or for that matter groups in general) that behave just like he describes in his article: “Most churches are, at their core, institutions formed around a social or societal commitment. The core of churches have been based on the fact that people are expected to attend because of societal pressures. And when society taught us through family, friends, neighbours, schools, workplaces, TV, movies, newspapers, courthouses, and governments that being church attenders was important, churches organized around social commitment worked well.”

Well, it doesn’t work anymore. Or does it? „The Medium is the Message“ weiterlesen